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Winter

Winter

Titel: Winter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Marsden
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noch lernen müsste.
    Als Nächstes ließ ich die Hühner aus dem Stall, streute Weizen aus, sah nach ihren Körnern und dem Wasser und sammelte die Eier ein. Nur vier. Offenbar legten sie bereits weniger, weil der Winter kam. Ich fragte mich, was bisher mit den Eiern geschehen war. Wahrscheinlich noch so ein Nebeneinkommen von Sylvia und Ralph.
    Dann kehrte ich zur Scheune zurück, holte mir eine Breithacke und ein Paar feste Handschuhe und ging nach draußen, um das zu tun, was mir seit meiner Rückkehr nach Warriewood keine Ruhe ließ. Die verfluchten Brombeeren. Ich hasste sie seit meinem ersten Morgenspaziergang am Bach. Vermutlich würde es Jahre, wenn nicht Jahrzehnte dauern, um die Dinger wieder loszuwerden, aber ich würde einen Anfang machen. Jede Reise beginnt mit dem ersten Schritt.
    Die einfachste Methode wäre natürlich die gewesen, ihnen mit Gift auf die Pelle zu rücken, aber das wollte ich nicht. Das lag wohl auch an meiner Sturheit, denn wenn es einen schwierigen Weg gibt, gehe ich ihn garantiert. Ich fand aber auch die Vorstellung unerträglich, das Gift könnte in meinen prächtigen Bach gelangen und die Karpfen und Schildkröten und Schnabeltiere und die vielen kleinen, auf der Wasseroberfläche wuselnden Insekten töten. Ich hatte das Gefühl, sie vertrauten mir, dass ich ihr Wasser sauber halten würde. Das wollte ich auch gerne tun.
    Also bearbeitete ich die Brombeeren mit der Hacke, die großen Pflanzen grub ich aus und die kleinen zerrte ich samt der Wurzel aus der Erde.
    In gewisser Weise hatte ich sogar noch Glück. Wir befanden uns mitten im Herbst, es hatte ordentlich geregnet und der Boden war weich und locker. Die Wurzeln ließen sich müheloser ausreißen, als ich erwartet hatte. Je weiter sie in die Wasserrinnen vorgedrungen waren, desto leichter kamen sie aus der Erde. Die Schwerarbeit fing erst weiter oben an. Entlang der Böschung hatte ich sicher nicht alle Wurzeln erwischt und musste einfach darauf hoffen, dass genug dabei draufgegangen waren und sie nicht von neuem wuchern würden.
    Jedes Mal, wenn ich eine große Staude mitsamt den Wurzeln aus der Erde zog, verspürte ich eine unvergleichliche Befriedigung. Manche von ihnen waren gigantisch. Mit einer großen Staude musste ich mich von der Rinne wegbewegen, manchmal zwanzig Meter weit, um sie zur Gänze aus dem Unterholz zu zerren. Als würde man einen riesigen Fisch hochhalten, den man gerade aus der Tiefe des Ozeans gezogen hat.
    Aber schon nach kurzer Zeit verfluchte ich die Brombeeren als die schädlichsten und bösartigsten Kreaturen im ganzen Universum. Sie rankten sich durchs Gebüsch, krochen unsichtbar am Boden entlang und krallten sich überall mit ihren winzigen weißen Wurzeln fest. Und dann versteckten sie sie auch noch so gerissen. Manche von ihnen wuchsen sogar aus den Stämmen der Baumfarne. Das waren die Hartnäckigsten.
    Und wie sie mich bekämpften! Sie attackierten mich mit Zähnen und Nägeln, wickelten sich wie die Greifarme eines gefräßigen wilden Dschungelwesens um meine Beine und krallten sich an mir fest, als wollten sie mich mit Stacheldraht fesseln. Sie bissen und kratzten und zerrten und rissen.
    Das machte ihre Zerstörung nur noch genüsslicher, auch wenn ich zwischendurch am Rande der Verzweiflung war. Drei Mal flippte ich völlig aus – ganz wie in meinen besten Zeiten an der Schule oder bei den Robinsons. Zu keinem vernünftigen Gedanken mehr fähig beschimpfte ich sie und schlug zurück, zerrte mit aller Kraft an den Bastarden und beruhigte mich erst wieder, wenn ich erhitzt und in Schweiß gebadet und völlig fertig war.
    Nach ein paar Stunden war dann auch wirklich ein Unterschied zu sehen. Eine Verbesserung. Da die großen Stauden über ganze Flächen gewuchert waren, legte ich richtige kleine Lichtungen frei. Zwischen den Farnen und Hortensien und Rhododendren an der Böschung kam wieder Gras zum Vorschein. Zufrieden stellte ich fest, dass ich dem Garten und der Wiese Raum zum Atmen und Raum für Wachstum zurückgegeben hatte. Und ich hatte das alles ganz allein geschafft.
    Das Schlechte war, dass ich mich mit der Zeit ziemlich einsam fühlte. Ich hätte gerne jemanden gehabt, mit dem ich zusammenarbeiten, ab und zu ein paar Worte wechseln und in Gelächter ausbrechen oder dem ich eine Brombeere hinhalten und zurufen konnte: »He, sieh nur, wie groß meine ist« – oder einen ähnlichen Unsinn.
    Kurz vor Mittag warf ich die Hacke und die Handschuhe hin, stolperte zu einem Flecken

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