Winter
Wiese und ließ mich ins Gras fallen. Ich war total erschöpft. In Wirklichkeit fehlte mir für diese Art von Schwerarbeit einfach die Kondition. Mit dem Fitnesszentrum hatte das nichts zu tun. Dort musste ich andere Muskeln trainiert haben. Ich lag mit einem Arm über den Augen im Gras, lauschte dem Zwitschern der Zaunkönige und den Schreien der Rotschwanzbussarde und dem Gelächter der Kookaburras, dachte daran, mir einen Hund zuzulegen, um Gesellschaft zu haben, und fragte mich erneut, wie meine Mutter wirklich gestorben war. Tief drinnen wusste ich, dass sie so nicht gestorben war, nicht bei einem so sinnlosen dämlichen Unfall.
»Hallo Winter!«, ertönte auf einmal eine Stimme.
Ich setzte mich rasch auf und sah mich um. Ich hasse Überraschungen. Ich hasse es, erschreckt zu werden. Ich hasse
alles Unerwartete.
Dann sah ich Jessica McGill. Das war eine nette
Überraschung. Ich hatte den Abend mit ihr und ihren Eltern
total genossen, obwohl ich ziemlich nervös dorthin gekommen
war. Nicht nur wegen Ralph und Sylvia, sondern auch weil ich
wie immer, wenn ich neue Leute kennen lerne, einen Stein im
Bauch verspürte. Als hätte ich eine Billardkugel verschluckt. Ich hatte mit einem schönen Haus gerechnet, immerhin ist Mr
McGill Architekt, und das war es auch, allerdings keines von
der Sorte, die einem schon auf zehn Kilometer Entfernung ins
Auge stechen. Keiner dieser Pseudopaläste mit zwei weißen Löwen als Wachen vor der Einfahrt. Ihres war ein niedriges Holzhaus, das sich nach links und nach rechts in die Länge zog und von großen Blumengärten umgeben war. Der Weg zur Eingangstür war ein richtiger Hindernislauf mit Unmengen von Topfpflanzen und kleinen Bäumchen und Kletterpflanzen
und einer Mädchenfigur aus Bronze, die eine Lampe hielt. Im Haus war es gemütlich und warm und erst da merkte ich,
wie groß es war, denn jedes Zimmer führte in ein anderes und
von da ging es in noch mehr Zimmer. Um ehrlich zu sein,
wirkte es auf den ersten Blick ziemlich verschlampt. Die Sofas
sahen aus, als kämen sie geradewegs aus der Hundehütte, und
das nicht nur, weil sie von zwei schnarchenden Golden
Retrievern in Beschlag genommen worden waren. Die Hunde
waren so alt und faul, dass beide nur ein Lid aufklappten, mich
kurz ansahen, gähnten und wieder einschliefen. Die Sofas
fielen auch an den Nähten auseinander und hätten eine
Schamponierung gut vertragen. An der Zimmerdecke waren
lauter Risse und überall stapelten sich Bücher, Zeitschriften
und CDs.
Und trotzdem hätte man nicht sagen können, dass es ein
Saustall war. Es war nicht verdreckt und es herrschte auch
keine lieblose Unordnung. Es ist mir ein Rätsel, wie manche
Häuser so wirken können und andere nicht. Vielleicht war das
alles Teil des architektonischen Genies von Mr McGill.
Vielleicht war der ganze Raum so geplant und er hatte ein
Vermögen ausgegeben, um schrottreif aussehende Sofas zu
bekommen. Vielleicht auch nicht.
Zu Beginn waren nur Mr und Mrs McGill da, die mich sehr
freundlich empfingen. Als ich um eine Cola light bat, stellte
sich natürlich heraus, dass sie alles, nur nicht das hatten,
weshalb Mr McGill in ein anderes Zimmer verschwand, um
nach einer normalen Coke zu suchen. Ich peilte das Sofa an
und beschäftigte mich mit den Hunden. Das tue ich immer, wenn ich unsicher bin: Ich nutze die Hunde als Schutz. Den Retrievern schien es nichts auszumachen. Mr McGill kehrte mit einer Schweppes Cola zurück, ein Getränk, das ich nicht ausstehen kann, aber das behielt ich für mich. Ich erinnerte mich an meine Manieren und half Mrs McGill in der Küche und das war gut so, denn sobald ich etwas zu tun habe, Mohrrüben schneide oder in der Sauce rühre, fällt mir das
Reden leichter.
Jessica kam rechtzeitig zum Essen nach Hause. Sie gehört zu
den Leuten, die wie ein Ball auf und ab springen. Sie hüpfte
zur Tür herein, als funktionierte ihr Betrieb mit anderen
Batterien als beim Rest von uns. Sogar die Hunde schleppten
sich vom Sofa um sie zu begrüßen. Das beeindruckte mich.
Auch ihr Verhältnis zu ihren Eltern beeindruckte mich. Sie
verwickelte sie sofort in ein Gespräch über ihren Flötenlehrer
und die neue Flöte, die sie seiner Meinung nach haben sollte
und die ein Vermögen kostete, zweitausend Dollar oder so
was. Ihre Eltern sagten aber nicht: »Auf keinen Fall, du spinnst
wohl!«, sondern nahmen es ganz gut auf und wollten wissen,
wo die Flöte hergestellt wurde und so weiter, und Jessica,
anstatt loszukreischen: »Entweder ich
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