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Winter

Winter

Titel: Winter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rainer Maria Rilke
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einer Kinder-Sprache, ›Stern-Schnuppe‹ genannt und ist bei dieser Unbeholfenheit geblie
ben; wer nennts? – Ach da stürzt es hin und reißt Alles ins Namenlose.
    Wunderly I (20. 12. 1919), 48
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    Da wechselt um die alten Inselränder
das winterliche Meer sein Farbenspiel
und tief im Winde liegen irgend Länder
und sind wie nichts. Ein Jenseits, ein Profil;
    nicht wirklicher als diese rasche Wolke,
der sich das Eiland schwarz entgegenstemmt.
Und da geht einer unterm Insel-Volke
und schaut in Augen und ist nichts als fremd.
    Und schaut, so fremd er ist, hinaus, hinüber,
den Sturm hinein; zwar manchen Tag ist Ruh;
dann blüht das Land und lächelt noch. Worüber?
Und die Orangen reifen noch. Wozu?
    Was müht der Garten sich ihn zu erheitern
den Fremden, der nichts zu erwarten schien,
und wenn sich seine Augen auch erweitern
für einen Augenblick –: er sieht nicht ihn.
    Wenn er vom Vorgebirge in Gedanken
Des Meeres winterliches Farbenspiel
Und in den Himmeln ferner Küsten Schwanken
Manchmal zu sehen glaubt: das ist schon viel.
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    Capri, 15. Dezember 1906 
    Werke II , 331 f.
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    Ich lebe grad, da das Jahrhundert geht.
Man fühlt den Wind von einem großen Blatt,
das Gott und du und ich beschrieben hat
und das sich hoch in fremden Händen dreht.
    Man fühlt den Glanz von einer neuen Seite,
auf der noch Alles werden kann.
    Die stillen Kräfte prüfen ihre Breite
und sehn einander dunkel an.
    Werke I , 256 f.
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    Duino, Nabresina, Littoral Autrichien,
am 14. Dezember 1911
    Meine liebe, gnädigste Frau,
    seit ich hier bin (sieben Wochen sind es dem Kalender nach), steht Ihr Name auf meiner Briefliste, es ist recht beschämend für mich, daß Sie mir zuvorgekommen sind. Bei meiner Säumigkeit wird das sich vielleicht noch manchmal wiederholen, nur dürfen Sie dann nicht dem Verdacht nachgeben, ich könnte Sie vergessen haben. Völlig nicht, Sie haben gefühlt im Herbst, wie gern ich bei Ihnen war, und dabei bleibts, auch im Geiste, auch in Gedanken.
    Ich stell es mir schön vor, bei Ihnen, mit Ihnen in ein neues Jahr hinüber zu kommen; man kommt mit Ihnen so oft ins Neue, auch mitten im Jahr, so dass die Bewegungen sich summieren würden und wir, wie durch Stromschnellen, durch die besondere Mitternacht glitten, die die Sache entscheidet. Und wirklich, ich brauchte so eine Garantie, in ein tatsächlich neues Jahr zu treiben, mit den letzten bin ich betrogen worden sie waren nur remis à neuf, da ich sie begann, schon am zweiten Tag kamen schlechte Stel
len heraus, es waren von Gott weiß was für Herrschaften abgelegte Jahre, die unser Herrgott, der jetzt furchtbar an mir spart, noch für tragbar hielt. Ja, aber Staat war keiner damit zu machen.
    Also an Neigung, sehen Sie, fehlt es nicht, und doch, aller Wahrscheinlichkeit nach, werd ich es schon hier versuchen müssen, über den Jahresgrat im Dunkeln und ganz allein hinüberzuklettern, gewissermaßen aus erziehlichen Gründen. Ich verdien es nicht anders, nämlich, ich wünschte mir seit lange, hier allein zu sein, streng allein, mich einzupuppen, zusammenzunehmen, kurz und gut, von meinem Herzen zu leben und von nichts anderem. Nun bin ich wirklich seit vorgestern ganz allein in dem alten Gemäuer, draußen das Meer, draußen der Karst, draußen der Regen, vielleicht morgen der Sturm –: nun soll sich's zeigen, was innen ist als Gegengewicht so großer und gründlicher Dinge. Also, wenn nicht ganz Unerwartetes kommt, bleiben, aushalten, stillhalten, mit einer Art Neugier nach sich selbst: ob das nicht das Richtige ist, wie? So steht es, und wenn ich jetzt mich rühre, verschiebt sich wieder alles; schließlich steht auf den Herzen, wie auf gewissen Medizinen: vor dem Einnehmen schütteln, ich bin die letzten Jahre immerzu geschüttelt worden, aber nie eingenommen, darum ists besser, ich bring es in der Stille zu Klarheit und Niederschlag.
    Briefe I (Elsa Bruckmann, 14. 12. 1911), 319 f.
    Capri, Villa Discopoli, am 1. Januar 1907
    Der heutige Morgen fing so strahlend an, nun wird ein grauer Tag daraus; aber zuerst war ein Glänzen wie von einem ganz neuen, nie gebrauchten Jahr. Und die Nacht war eine helle, ferne, die über viel mehr als nur über der Er
de zu ruhen schien; man fühlte, daß sie über Meeren lag und weit drüber hinaus über dem Raum, über

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