Winter
Sie beides, bitte, ich bin ein empörender Vogel, da sitz ich auf meiner Stange, ganz entmausert und schäbig, die Federn fliegen mir in den eigenen Schnabel und dieser unverschämte Schnabel schreit Ihnen: Kommen Sie nicht, kommen Sie nicht, â als NeujahrsgruÃ.
Taxis I (27. 12. 1913), 340 f.
Das Alleinsein ist ein wahres Elexir, es treibt die Krankheit nun völlig an die Oberfläche, es muà erst schlimm, schlimmer, am Schlimmsten werden, weiter gehts in keiner Sprache â, aber dann wird es gut. Ich krieche den ganzen Tag in den Dickichten meines Lebens herum und schreie wie ein Wilder und klatsche in die Hände â: Sie glauben nicht, was für haarsträubendes Gethier da auffliegt. Vor einiger Zeit glaubte ich schon aufs Bessere zuzugehen; aber das war nur wie ein falsch zugewachsener Knochenbruch. Jetzt hab ich mir alles von Neuem gebrochen und nun soll erst die gesunde Anatomie herausheilen. Das ist eine langwierige Geschichte, aber die einzige ganz ehrliche. Zum Glück haben wir helles Wetter, ich heule aus vollem Herzen den Mond an und schiebe es auf die Hunde.
Taxis I (30. 12. 1911), 85
Sonst giebt es nie viel Besuch hier, vollends der Winter ist, auch heuer wieder, die Zeit meiner réclusion, wie ein Baum gehe ich nach innen, auÃen ganz Schweigsamkeit, Stamm und Geäst, mit nicht dem kleinsten Wort-Blättchen an mir. Die »Ergebnisse« sind wahrhaftig noch nicht zu sehen.
Nádherný (21. 1. 1923), 326
Die Wohnung ist sehr primitiv, zwei sehr kleine Stuben in einem kleinen Stall- und Garagen-Gebäude, das dicht am Gitterthor des alten Gartens liegt, â das würde wenig schaden (wenn ich auch einen gröÃeren Raum zum Arbeiten vorgezogen hätte), das Schlimme ist, daà der erste Eindruck, auf den ich viel gebe, kein eigentlich empfangender war, gehemmt vielleicht durch zwei gleich gewahrbare Ãbelstände, â Kälte und Wärme sind beide in diesen Stuben in der peinlichsten Erscheinung vertreten: die Kälte durch einen FuÃboden von rothen Ziegeln, der nur mit kleinen Strohmatten-Inseln da und dort verdeckt ist, â die Möglichkeit zur Wärme stellt sich dar in einem jener gedrungenen eisernen Ãfen, die keine nuance kennen und, wenn man sie heizt, in einen Jähzorn von Gluth ausbrechen, um bald darauf wieder rostig und kalt dazustehen. Und dieser unzuverlässig temperamentvolle Gegenstand befindet sich in dem ersten winzigen Raum so dicht an dem Tisch, an dem ich schreiben soll, daà ich sehr an meiner Verträglichkeit mit ihm zweifle.
Wunderly I (9. 12. 1919), 24
Mein Entbehren ist augenblicklich ganz mit der verunglückten Kaffee-Maschine beschäftigt, die einem recht Gesellschaft leistete, die jemand war, Wärme und Athmosphäre bereitend. Schade, schade. Ich zweifle, daà man einzelne Stücke ersetzt bekommt: Gott weiÃ, wo diese Maschinen zur Welt kommen!
Wunderly II (10. 1. 1923), 847
Sie versprachen einmal, »leicht« zu sein: theuere Freundin, nun bäte ich fast: seien Sie's nicht zu sehr. Ob ich gleich
weiÃ, daà im Menschlichen nur das Leichteste mich fähig und glücklich macht, wo es irgend ein Gewicht bekam, selbst das Gewicht eines Glücks, bin ich nicht mehr damit einig gewesen, habe Unrecht gethan und Unrecht erlitten und alle Auskunft verloren.
Gestern, am ersten Morgen hier, wachte ich auf, die kühle Frühe des sich klärenden Sees weht tief und künftig herein in meine hohe weit offne Balkonthür, eine hohe Tanne stand davor, ein einzelner morgendlich-klarer Stern hinter ihr: der Stern war mir näher als der Baum, â wie wachte und wirkte er herüber in mein unter Schlaf liegendes Leben, â so steht es mit mir, â und so glaub ichs versprechen zu dürfen, wird mein Anliegen nie zu nahe sein, zu fordernd und ansprüchig. Wenn nur von Ihnen, was mir seit Jahren gehört, zu mir übergeht, dieser Athem Ihrer Natur, dieser reine Ãberfluà Ihrer Blumen und Quellen.
Wunderly I (9. 12. 1919), 23
Vor vielen Jahren hab ich einmal einen Winter weit unten im Süden zugebracht, in einer Villa, aus der man das Meer sehen konnte über den immergrünen Garten hinüber: unser waren nur vier: drei Frauen verschiedenen Alters und ich; eine alte Dame; die Hausherrin, eine nichtmehr junge, verwitwete Frau; und ein liebliches junges Mädchen. Die
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