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Winter

Winter

Titel: Winter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rainer Maria Rilke
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und vorsichtig heraufkommt und seine graue Schnauze in die Sterne hält. An Arbeit denk ich gar nicht, nur daran, an gleichmäßigen einsamen Beschäftigungen, am Lesen, Wiederlesen, Nachdenken allmählich gesund zu werden und auf weiten Wegen und Umwegen ein klein wenig froh . Nichts war mir so schädlich, als immer wieder vor Menschen zu sein diesen Sommer, für die man sich dann ja soweit zusammennimmt, und anrichtet und würzt, da man ihnen nun einmal soll vorgesetzt werden. Ach, ich bin kein Gericht, gar nicht fertig, aufgetragen zu werden, ich bin wie ein Stilleben von Cézanne –, ein paar uneßbare Aepfel und eine Flasche, auf eine alte Decke vom Zufall hingestellt, und das Ganze fortwährend in Gefahr, vom Tisch zu fallen. – Hier müh ich mich, da niemand fragt und zusieht, wie eine Ameise mit einem viel zu langen Strohhalm, verliere ihn, finde ihn unerwartet wieder, hab ihn schon wieder verloren, laufe entsetzt her
um und wundere mich, daß bei aller der Unordnung nicht noch jemand auf mich tritt. Und doch, ist nicht dies das Leben –? Ich glaube: daß aus soviel dürftigen, bangen, kleinlichen und schmählichen Einzelheiten, sich am Ende doch ein großartiges Ganzes zusammensetzt, das ja nicht wäre, wenn wirs verstünden und leisteten, sondern an dem wir mit unserem Können und unserem Mißlingen gleich weit betheiligt sind.
    Nádherný (9. 12. 1913), 206 f.
    Was mein Schweigen aber so weit anwachsen ließ, war wohl noch mehr das Bedürfnis, selber eine Weile ganz allein zu sein. Sie wissen, was der Winter immer in dieser Beziehung für mich bedeutet; es ist wahr, diesem wuchsen nicht so enorme Aufgaben zu, wie dem vergangenen (: dafür hätten die etwas angegriffenen Kräfte, die mir manche Unpäßlichkeit verursachen, auch kaum gereicht … .), aber ich wollte mich doch recht tief ins Eigenste zurück- und zusammennehmen. Nun ist es so weit, daß ein kleiner Ertrag von Leistung (Übersetzungen) vorliegt, und so darf ich ab und zu ein wenig aufschauen und die Freunde wieder suchen und berühren, gegen die ich, nach allen Seiten hin, stumm geworden war.
    Forrer (14. 2. 1923), 111
    Vor Jahren, im Winter 1912 , hatt ich das einmal, Stille, Einsamkeit, wirkliche, vier, fünf Monate lang, es war unerhört. Und gerade jetzt sehn ich mich nur nach dem Einen, die damals begonnenen großen Arbeiten (Sie kennen davon noch keine) wieder aufzunehmen; dazu brauchts aber die Ununterbrochenheit und Innerlichkeit, die das Gestein
hat im Innern der Berge, wenn's sich zum Kristall zusammennimmt. Gestern noch dachte ich mir: wie soll ich mir das von Gott verdienen? Was tut ihm die stumme Kreatur im Mineral dafür, daß er ihr das gewährt, beschäftigt zu sein, jahrelang, mitten im Gesetz –, und er reißt sie nicht heraus: sie schafft, sie gelingt!
    Schweizer Freunde (Dory Von der Mühll, 24. 12. 1919), 40
    Das wird sich kurios anhören, aber ich schreie gleichwohl: kommen Sie nicht, Fürstin, kommen Sie nicht, und das ist nicht Eifersucht der Dame del Giocondo , was mich so schreien macht (ich will sie gar nicht sehen) –; aber ich habe ja ein Gelübde gethan, niemanden anzuschauen, nicht den Mund aufzuthun, außer nach innen –, wenn Sie kämen, so müßte ich entweder diesen auferlegten Zustand einhalten (das wäre absurd) – oder wenn ich ihn doch verließe, ich habe Angst, Fürstin, ich reise dann auch schon gleich wieder oder spreche auch noch zu Anderen, sowie ich einmal eine einzige schöne schöne Ausnahme mir erlaube. Ich bin in der Puppe, liebe Freundin, es weht wie Altweibersommer in meiner Stube herum, von alledem was ich tagsüber und nachtsüber ausspinne mich einwickelnd, daß ich schon nicht mehr kenntlich bin. Warten Sie, bitte, bitte, auf den nächsten Schmetterling, Sie haben im Herbst gesehen, in Berlin, wie trist und abscheulich die Raupe war, ein Greuel. Kommt kein Schmetterling heraus, am Ende, – auch gut, so bleibe ich in dieser Filzerei stecken und träume so still für mich von dem grandiosen Trauermantel, der zu werden ich einstens etwas Aussicht hatte. Flieg ich nicht aus, so fliegt ein anderer, der liebe Gott will nur, daß geflogen wird, wer's gerade besorgt, dafür hat er nur ein ganz vorübergehendes Interesse.
    Lachen Sie mich aus, Fürstin, oder schelten Sie mich. Thun

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