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Winter

Winter

Titel: Winter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rainer Maria Rilke
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müssen, im Stillen überwiegt; von dort kam ich gestern abend zurück und fand Ihren lieben Brief.
    Nostitz (4. 2. 1915), 88 f.
    Ich bin umgeben von Umständen, die mich im persönlichsten Einsehen und Bekümmern zurückhalten; fast nirgends erhebt sich mein Wesen ins Allgemeinere; wo ich von der Zeit, dem Kriege, ja irgend einer Erscheinung des äußeren oder inneren Daseins zu sprechen hätte, müßte ich es in der subjektivsten Form tun, das heißt in der leidendsten; ich würde mich als der im Grunde Unbeholfenste, ja als nahezu Hülfebegehrender herausstellen, während Sie in mir doch den Helfenden anzureden entschlossen sind. Und ich weiß, daß keine Überhebung und unmittelbare Unwahrheit darin liegt, wenn ich Sie gewähren lasse, als wäre ich wirklich helfend. Dies ist zwischen uns eine Voraussetzung, von deren Beweis wir absehen –, und am Ende weiß, unter Einsamen, doch keiner, ob er nicht in seiner Not dem anderen doch noch tröstlich sei, ob nicht die Gebärden seiner eigensten Ratlosigkeit zeichengebend und winkend in den Raum des Unabsehlichen hineinwirken.
    Nur so viel: Was Sie an Sicherheiten in meinen Büchern gefunden haben, sind nicht mehr die Sicherheiten, aus denen ich lebe. Geistig sowohl wie vielfach körperlich ist mir vorderhand alle Stütze weggenommen, ich halte mich, sozusagen, im Unmöglichen, aber da ich mich halte, so wird wohl eine Kraft an mir betätigt sein, die ich vielleicht nach und nach zu der meinen mache, da sie sich immerhin in mir bewährt. Daß um diese interne Heimsuchung nun auch noch die Welt so heimgesucht zusammengeschlagen ist, umgibt mein bemühtes Herz mit unbeschreiblicher Finsternis. Um zu wissen, wie arg mir diese Zeitläufte anhaben, müssen Sie sich denken, daß ich nicht »deutsch« empfinde, – in keiner Weise; ob ich gleich dem deutschen Wesen nicht fremd sein kann, da ich in seiner Sprache bis an die Wurzeln ausgebreitet bin, so hat mir doch seine gegenwärtige Anwendung und sein jetziges aufbegehrliches Bewußtsein, soweit ich denken kann, nur Befremdung und Kränkung bereitet; und vollends im Österreichischen, das durch die Zeiten ein oberflächliches Kompromiß geblieben ist (die Unaufrichtigkeit als Staat), im Österreichischen ein Zuhause zu haben, ist mir rein unausdenkbar und unausfüllbar! Wie soll ich da, ich, den Rußland, Frankreich, Italien, Spanien, die Wüste und die Bibel das Herz ausgebildet haben, wie soll ich einen Anklang haben zu denen, die hier um mich großsprechen! Genug.
    Briefe II (Ilse Erdmann, 11. 9. 1915), 44-46
    Ich habe ja nicht ganz ernstlich daran gedacht, aber es ging die Erzählung von alten Thürmen, die zu einem unglaublich geringen Preis vermiethet werden, das stimmte auch, nur daß gerade keiner frei war, – aber ob man so in der kleinen abgestorbenen Provinz sich lebendig erhält,
ein Thurm ist mehr als ein Haus und verpflichtet, aber ich müßte längst aufgehört haben mich von gewählten Umgebungen verpflichten zu lassen. Müßte ich nicht? Wie groß meine Sehnsucht ist, irgendwo stabilere Verhältnisse zu gründen, die nicht erst wieder geliehene, vorläufige, ungefähr angepaßte sind, sondern genau meine und für unabgegrenzte Zeit vorhandene, das vermöchte ich Ihnen kaum der Wahrheit nach darzustellen –, München und die Keferstraße werden mir immer weniger erfreulich, weil es doch schließlich so völlig zufällige Umstände sind. Von allem weiteren Verkehr hab ich mich zurückgezogen, aber auch der nähere und nöthige giebt mir nicht die rechte Frucht vor diesem Hintergrund, womit ich zunächst München meine, dann freilich auch die Zeit. Die Zeit, die ja gewiß auch nicht die richtige ist, um über eine genauere Einrichtung des eigenen Lebens zu verfügen. Das nun über zwei Tage bevorstehende neue Jahr seh ich gleichwohl mit Hoffnung an, als ob es nicht das dritte schlechte sein könne, sondern wieder ein erstes besseres werden wolle. Alle warten ja nur auf das Aufathmen.
    â€¦ Wenn die Zeit sich zum Guten wendet, so wird sie uns allen, denk ich, einen außerordentlichen Schwung zum Guten mitgeben, und man wird doch nach so langer Weltkrankheit selbst etwas vom Genesenden haben und so viel Gelegenheit, an Heilungen des Lebens irgendwie mitzuwirken. Aber wenn die Zeit sich nur erst

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