Winter
Gastgeberin war die Schwester einer verstorbenen, mir mütterlich gewesenen Freundin, ich stand ihr so nicht eigentlich nah und hatte auch zu den beiden anderen Wohngästen nur die leichte sympathisch empfangende und gebende Beziehung, die sich zwischen herzlich in einander eingelebten Hausgenossen herstellt und einrichtet, ohne dass man recht wüsste, wie weit sie ins Gefühl hineinreicht. Da gab es solche Abende (man sah wenig Be
such), wo wir uns in dem groÃen Studio zusammenfanden, nahe am Kamin, die Damen mit ihrer Handarbeit, ich mit einem Buch â, und der Schluss war immer, dass das junge Mädchen mir einen Apfel schälte â. Willst Du mirs glauben, Magda, dass ich Jahre und Jahre von diesem Apfel gelebt habe, den ich mir nicht selber hatte zugänglich machen müssen; von dieser Abendstunde; von irgendetwas, was die Nähe und das milde Beschäftigtsein dieser drei Frauen in mir begründet und angesammelt zu haben schien?: ja viel später schon, längst wieder in Paris, war immer noch ein Vorrath von ⦠(wovon?) von Fassung, von Trost, von kühlender Besänftigung in meinem Innern, dem ichs ansah, dass er von da herstammte; und so wirklich war er, so greifbar vorräthig, dass ich ihn fast konnte hinschwinden und abnehmen sehn unter meinem täglichen, immer änstlichern Verbrauche. â Und da wars doch nur die Geste : und ich wurde schon erhalten davon, denk, über Jahre hinaus â â
Hattingberg (22. 2. 1914), 163 f.
Ich sehe keinen Menschen, es hat gefroren, es war Glatteis, es regnet, es trieft, â das ist hier der Winter, immer je drei Tage von jedem. Ich habe von Paris über und über genug, es ist ein Ort der Verdammnis, das hab ich immer gewuÃt, aber damals wurden mir die Peinen der Verdammten von einem Engel auseinandergesetzt, jetzt, da ich mir sie selbst erklären soll, finde ich keine rühmliche Auslegung und bin in Gefahr, mir das einmal groà AufgefaÃte nachträglich mesquin zu machen. Wenn Gott Einsehen hat, so läÃt er mich bald ein paar Räume auf dem Land finden, wo ich ganz nach meiner Art wüthen kann und wo die Elegieen aus mir den Mond anheulen dürfen von allen Seiten,
wie's ihnen zu Muth ist. Dazu gehört dann die Möglichkeit, weite einsame Wege zu machen und eben der Mensch, der schwesterliche!!! (ach ach) der dann das Haus besorgt und gar keine Liebe hat oder so viel, daà er nichts verlangt, als, wirkend und verhütend, an der Grenze des Unsichtbaren dazusein. Hier der Inbegriff meiner Wünsche für 1914, 15, 16, 17 u. s. f.
Taxis I (27. 12. 1913), 344 f.
Wie oft, meine liebe Fürstin, hol ich allen Athem, den es um mich giebt, um wenigstens zu sagen: ich bin noch da, noch in dieser unmöglichsten aller Welten, â aber die Luft, die man jetzt einzieht, zehrt in den Lungen und reicht, wenn man sie gebrauchen soll, nicht für den mindesten Satz. Weihnachten war, das Jahr hat gewechselt, und so sehr man an diesen Abschnitt glauben wollte, niemand, denk ich, hat ihn empfunden, denn der Kalender ist wie fort, das Kriegsjahr zählt und hat seine eigenen Jahreszeiten, sein Klima, seine Erde und seinen, hinter Gewittern unkenntlichen Himmel.
Aber trotzdem, Fürstin, möge das natürliche Jahr sich dahinter besinnen und ein gutes werden, möchten wir uns bald hier heraus und dort hineinzufinden haben, in einen einfachen freien Frühling, in eine Gotteswelt â, wie werden die Herzen alle die jetzt unter Wasser sind, unter den Wassern der Noth, aufsteigen, schweben, selbst die schmerzhaftesten werden ins Steigen kommen, wenn der Druck menschlicher Verhängnisse erst wieder aus der Welt genommen ist. Wann? Wann? Hat man etwas im Herzen als diese Frage?
Taxis I (5. 1. 1915), 395 f.
Liebe gnädigste Frau,
gestern abend erst fand ich Ihren Brief vor, danke; ich käme gerne zu einem der Abende, vor allem, um eine Stunde mit Ihnen zu sein, â aber ich kann Ihnen nicht sagen, wie völlig mir danach zumuth ist, in einem Versteck zu sein und keine Menschen zu sehen und nicht sprechen zu müssen: das war der Grund, warum ich von Berlin, wo man doch gleich offenkundiger ist, neulich wieder hierherfuhr: und nun mag ich mich nicht rühren, es sei denn daà ich manchmal für einige Tage ins Isarthal fahre, wo eine reine weiÃe Jahreszeit das Unbeschreibliche, das wir unsere Zeit nennen
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