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Winter der Welt - Die Jahrhundert-Saga Roman

Winter der Welt - Die Jahrhundert-Saga Roman

Titel: Winter der Welt - Die Jahrhundert-Saga Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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Lebensunterhalt verdienen sollen.« Er lachte herzhaft. »Aber das liegt wohl noch in weiter Ferne.«
    Ilja schaute misstrauisch drein, als hätte er das Gefühl, soeben etwas Subversives gehört zu haben, ohne den Finger darauf legen zu können.
    Katherina brachte Schwarzbrot und fünf Schüsseln heißen Borschtsch, und alle griffen zu. »Als ich noch ein kleiner Junge war und auf dem Land lebte«, erzählte Grigori, »hat meine Mutter den ganzen Winter über Gemüsereste, Apfelkerngehäuse, Kohlblätter und Zwiebelschalen gesammelt und vor dem Haus in einem alten Fass eingelagert, wo es eingefroren ist. Im Frühling, wenn der Schnee geschmolzen war, hat sie Borschtsch daraus gekocht. So muss ein richtiger Borschtsch sein, wisst ihr? Restesuppe. Ihr jungen Leute wisst gar nicht, wie gut es euch geht.«
    Es klopfte an der Tür. Grigori runzelte die Stirn. Er erwartete niemanden, doch Katherina sagte: »Oh, das habe ich ganz vergessen. Konstantins Tochter wollte kommen.«
    »Zoja Worotsyntsow? Die Tochter von Magda, der Hebamme?«
    »Ich erinnere mich an Zoja«, sagte Wolodja. »Ein dürres Kind mit blonden Ringellocken.«
    »Sie ist kein Kind mehr«, erklärte Katherina und stand auf, um zur Tür zu gehen. »Sie ist vierundzwanzig und Wissenschaftlerin.«
    Grigori verzog das Gesicht. »Wir haben sie seit dem Tod ihrer Mutter nicht mehr gesehen. Warum nimmt sie ausgerechnet jetzt wieder Kontakt zu uns auf?«
    »Sie will mit dir reden«, antwortete Katherina.
    »Mit mir? Worüber denn?«
    »Über Physik.« Katherina ging hinaus.
    Grigori erklärte stolz: »Ihr Vater Konstantin und ich waren 1917 Deputierte im Petrograder Sowjet. Wir haben den berühmten Befehl Nummer eins herausgegeben.« Ein Schatten huschte über sein Gesicht. »Leider ist Konstantin kurz nach dem Bürgerkrieg gestorben.«
    »Da muss er noch sehr jung gewesen sein«, bemerkte Wolodja. »Woran ist er gestorben?«
    Grigori schaute zu Ilja, wandte sich aber rasch wieder von ihm ab. »An einer Lungenentzündung«, sagte er. Wolodja wusste, dass er log.
    Katherina kam ins Zimmer zurück, gefolgt von einer Frau, bei deren Anblick es Wolodja den Atem verschlug.
    Zoja war eine klassische russische Schönheit, groß und schlank, mit makelloser heller Haut, hellblondem Haar und blauen Augen, die so blass waren, dass sie beinahe farblos wirkten. Sie trug ein schlichtes grünes Kleid, dessen Einfachheit ihre schlanke Figur noch mehr hervorhob.
    Zoja wurde reihum vorgestellt; dann setzte sie sich an den Tisch und akzeptierte freundlich die Schüssel Borschtsch, die Katherina ihr anbot.
    »Sie sind Wissenschaftlerin, Zoja?«, fragte Grigori.
    »Ich arbeite zurzeit an meiner Doktorarbeit und unterrichte Erstsemester«, sagte sie.
    »Wolodja arbeitet bei der GRU «, erklärte Grigori stolz.
    »Interessant«, bemerkte Zoja, aber es war nur Höflichkeit. In Wirklichkeit interessierte es sie kein bisschen.
    Wolodja erkannte sofort, dass Grigori Zoja als potenzielle Schwiegertochter betrachtete. Er hoffte nur, sein Vater würde es nicht allzu offensichtlich zeigen. Andererseits hatte er sich bereits vorgenommen, Zoja am Ende des Abends um eine Verabredung zu bitten. Aber dafür brauchte er seinen Vater nicht, im Gegenteil: Prahlende Eltern konnten sich eher störend auswirken.
    »Wie schmeckt Ihnen die Suppe?«, fragte Katherina.
    »Einfach köstlich. Danke.«
    Wolodja hatte den Eindruck, dass sich hinter Zojas atemberaubender Fassade ein nüchterner Mensch verbarg. Es war faszinierend: eine schöne Frau, die nicht einmal versuchte, Männer um den kleinen Finger zu wickeln.
    Anja räumte die Suppenschüsseln weg, während Katherina den Hauptgang auftrug: Hühnchen und Kartoffeln, in einem Topf gekocht. Zoja aß mit Appetit. Wie die meisten Russen bekam auch sie nur selten etwas so Gutes aufgetischt.
    »Was für einer Wissenschaft haben Sie sich denn verschrieben?«, fragte Wolodja.
    Mit erkennbarem Bedauern, weil sie mit dem Essen aufhören musste, um zu antworten, sagte Zoja: »Ich bin Physikerin. Wir versuchen, das Atom zu verstehen. Wir wollen seine Bestandteile kennenlernen und herausfinden, was sie zusammenhält.«
    »Das hört sich ziemlich trocken an.«
    »Oh, es ist absolut faszinierend.« Zoja legte die Gabel beiseite. »Wir versuchen zu ergründen, woraus das Universum wirklich besteht. Kann man sich etwas Aufregenderes vorstellen?« Ihre Augen leuchteten. Offensichtlich war Physik das Einzige, was sie von Hühnchen und Kartoffeln ablenken konnte.
    Nun meldete

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