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Winter der Welt - Die Jahrhundert-Saga Roman

Winter der Welt - Die Jahrhundert-Saga Roman

Titel: Winter der Welt - Die Jahrhundert-Saga Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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eilte die Treppe zur Halle hinauf.
    Lloyd war nicht da. Er musste schon gegangen sein. Daisy verlor den Mut.
    Dann aber fiel ihr ein, dass er zum Bahnhof laufen würde. Nur die Reichen und Gebrechlichen nahmen für eine Meile ein Taxi. Vielleicht konnte sie ihn einholen.
    Sie eilte zur Vordertür hinaus und sah ihn vierhundert Meter entfernt auf der Zufahrt. Er ging mit forschen Schritten, den Koffer in der Hand. Daisy vergaß alle Vorsicht und rannte ihm hinterher.
    Ein leichter Militärlastwagen, »Tilly« genannt, fuhr über die Zufahrtsstraße. Zu Daisys Entsetzen bremste er ab, als er auf Lloyds Höhe war. »Nein!«, rief Daisy, aber Lloyd war zu weit weg, um sie zu hören.
    Er warf seinen Koffer auf die Ladefläche und stieg auf den Sitz neben dem Fahrer.
    Daisy rannte weiter, doch es war hoffnungslos. Der Fahrer des Tillys gab Gas und beschleunigte.
    Keuchend blieb Daisy stehen und blickte dem Kleinlaster hinterher, als er durch das Tor von Tŷ Gwyn fuhr und kurz darauf aus ihrem Blickfeld verschwand.
    Daisy kämpfte gegen die Tränen an. Schließlich drehte sie sich um und ging zurück zum Haus.

    Auf dem Weg nach Bournemouth verbrachte Lloyd eine Nacht in London. Am Abend des 8. Mai, einem Mittwoch, saß er auf der Besuchergalerie des Unterhauses und verfolgte gemeinsam mit Bernie die Debatte, die über das Schicksal von Premierminister Chamberlain entscheiden sollte.
    Lloyds Platz hätte ebenso gut in der obersten Galerie eines Theaters sein können: Die Sitze waren klein und hart, und er blickte fast senkrecht auf das Drama hinunter, das sich unter ihm entfaltete. Die Galerie war bis auf den letzten Platz besetzt. Lloyd und Bernie hatten nur mit Mühe Eintrittskarten erhalten. Letztlich war es nur dem Einfluss seiner Mutter zu verdanken, die sich ebenfalls im Saal aufhielt; sie saß mit Billy bei den Labour-Abgeordneten. Lloyd hatte noch keine Gelegenheit gehabt, Ethel nach seinen wirklichen Eltern zu fragen; alle waren viel zu beschäftigt mit der politischen Krise.
    Lloyd und Bernie hofften auf Chamberlains Rücktritt. Der Beschwichtiger des Faschismus war kein Regierungschef, wie das Land ihn in Kriegszeiten brauchte; das militärische Debakel in Norwegen zeigte es deutlich genug.
    Die Debatte hatte bereits am Abend zuvor begonnen. Chamberlain sah sich wütenden Angriffen ausgesetzt, nicht nur von Labour-Abgeordneten, auch aus den eigenen Reihen. Der konservative Abgeordnete Leopold Amery hatte Cromwell zitiert: »Ihr sitzet hier zu lange für das Gute, das Ihr getan. Gehet, sage ich, auf dass wir Euch los seien. Im Namen des Herrn, gehet!« Aus dem Mund eines Parteifreundes war es eine schmerzliche, ja grausame Ansprache, und sie wurde durch die »Hört,-hört!«-Rufe sowohl von den politischen Freunden, als auch von den Gegnern nur noch bitterer für Chamberlain.
    Lloyds Mutter und die anderen weiblichen Abgeordneten hatten sich in ihrem eigenen Sitzungsraum im Westminster Palace versammelt und waren übereingekommen, eine Abstimmung zu erzwingen. Da die männlichen Abgeordneten sie nicht aufhalten konnten, hatten sie sich den Frauen angeschlossen. Als dies am Mittwoch bekannt gegeben worden war, verwandelte sich die Debatte in eine Diskussion über die Person des Premierministers, die in der Forderung nach einer Abstimmung über ihn mündete. Chamberlain nahm die Herausforderung an und appellierte an seine Freunde, ihm beizustehen – für Lloyd ein weiteres Zeichen der Schwäche.
    Die Angriffe gegen Chamberlain setzten sich an diesem Abend fort. Lloyd genoss es, denn er verabscheute den Premierminister seit dem Spanien-Debakel. Zwei Jahre lang, von 1937 bis 1939, hatteChamberlain die Nichteinmischung Großbritanniens und Frankreichs durchgesetzt, während Deutschland und Italien Waffen und Männer in die Rebellenarmee pumpten und ultrakonservative Amerikaner Öl und Lastwagen an Franco verkauften. Wenn überhaupt ein britischer Politiker eine Mitschuld an den Massenmorden trug, die Generalissimus Franco befahl, war es Chamberlain mit seiner Appeasement-Politik.
    »Trotzdem ist das Fiasko in Norwegen nicht Chamberlains Fehler«, sagte Bernie während einer Pause zu Lloyd. »Schließlich ist Winston Churchill Erster Lord der Admiralität. Deine Mutter sagt, dass er es war, der Großbritannien zu der Invasion gedrängt hat. Nachdem Chamberlain so oft versagt hat – Spanien, Österreich, die Tschechoslowakei – wäre es eine verdammte Ironie, wenn er sein Amt wegen einer Katastrophe verliert, die er

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