Winter der Welt - Die Jahrhundert-Saga Roman
Jahrgang. Historisch.«
Sie nahmen am Tisch Platz und aßen Maisies Fischpastete. Daisy trank ein Glas Champagner, bekam das Essen aber kaum herunter, sondern schob es auf dem Teller herum. Boy hingegen ließ sich Nachschlag geben.
Zum Dessert servierte Maisie Dosenpfirsich mit Kondensmilch.
»Der Krieg ist nicht gut für die englische Küche«, sagte Boy.
»Die war vorher schon nicht gut«, erwiderte Daisy in dem Versuch, den Anschein von Normalität zu erwecken.
Mittlerweile musste Lloyd in der Gardeniensuite sein. Was würde er tun, wenn sie ihn nicht benachrichtigen konnte? Würde er die ganze Nacht dort oben zubringen, warten und hoffen, dass sie noch kam? Oder gab er um Mitternacht auf und ging in sein eigenes Bett? Oder kam er vielleicht sogar hierher, um nach ihr zu sehen? Das könnte sie in arge Verlegenheit bringen.
Boy zündete sich eine Zigarre an und rauchte genüsslich. Hin und wieder tauchte er das kalte Ende in ein Glas Brandy. Währenddessen suchte Daisy fieberhaft nach einem Vorwand, nach oben zu gehen, aber ihr fiel nichts ein. Wie sollte sie auch plausibel machen, dass sie zu dieser späten Stunde die Quartiere der Schulungsteilnehmer aufsuchen musste?
Sie hatte noch immer nichts unternommen, als Boy die Zigarre ausdrückte und sagte: »Zeit fürs Bett. Möchtest du zuerst ins Badezimmer?«
»Ja.« Da Daisy nicht wusste, was sie sonst tun sollte, stand sie auf und ging sich waschen. Langsam zog sie die Sachen aus, die sie für Lloyd so sorgfältig ausgesucht hatte. Sie wusch sich das Gesicht und schlüpfte in ihr langweiligstes Nachthemd. Dann ging sie ins Bett.
Boy war ziemlich betrunken, als er sich neben ihr unter die Decke schob, wollte aber trotzdem Sex. Der Gedanke stieß Daisy ab. »Tut mir leid«, wies sie ihn ab, »Dr. Mortimer hat mir für die nächsten drei Monate ehelichen Verkehr untersagt.«
Das war eine Lüge. Der Arzt hatte gesagt, es wäre in Ordnung, sobald die Blutungen aufgehört hätten. Außerdem hatte sie indieser Nacht ja mit Lloyd ins Bett gehen wollen. Sie fühlte sich schrecklich unehrlich.
»Drei Monate keinen Sex?«, fragte Boy indigniert. »Wieso?«
Rasch ließ sie sich eine Ausrede einfallen. »Wenn wir zu früh anfangen, verringert sich die Wahrscheinlichkeit, dass ich wieder schwanger werde.«
Diese Worte überzeugten Boy, denn ein Erbe war ihm wichtiger als alles andere. »Na schön«, murmelte er und drehte sich von ihr weg.
Nach einer Minute war er eingeschlafen.
Daisy lag wach. Ihre Gedanken überschlugen sich. Konnte sie sich jetzt davonschleichen? Sie müsste sich anziehen – in ihrem Nachthemd konnte sie nicht durchs Haus gehen. Boy hatte einen tiefen Schlaf, aber er wachte oft auf, weil er zur Toilette musste. Was, wenn er aufwachte, während sie fort war, und sah, wie sie angekleidet zurückkehrte? Was konnte sie ihm sagen, das auch nur annähernd plausibel klang? Er würde sich denken können, weshalb seine Frau nachts durchs Haus schlich.
Es gab keinen Ausweg. Lloyd musste leiden. Und Daisy litt mit ihm, wenn sie daran dachte, wie er allein und enttäuscht in dem muffigen Zimmer auf sie wartete. Würde er sich in seiner Uniform hinlegen und einschlafen? Würde er glauben, dass es einen Notfall gegeben hatte? Oder würde er annehmen, dass sie ihn versetzt hatte? Bestimmt war er enttäuscht und wütend auf sie.
Tränen liefen Daisy über die Wangen, während Boys Schnarchen das Zimmer erfüllte.
In den frühen Morgenstunden döste sie ein und träumte wirr: Sie musste unbedingt einen Zug erreichen, wurde aber immer wieder aufgehalten: Das Taxi brachte sie zum falschen Ort, und sie musste unerwartet weit mit ihrem Koffer gehen; dann konnte sie ihre Fahrkarte nicht finden, und als sie endlich den Bahnsteig erreichte, wartete dort eine altmodische Postkutsche, mit der die Fahrt nach London mehrere Tage dauern würde.
Als Daisy aus ihrem Traum erwachte, war Boy im Bad und rasierte sich.
Die Nacht war um. Alles war verloren.
Deprimiert stand Daisy auf und zog sich an. Maisie machte Frühstück, und Boy aß Eier mit Speck und Buttertoast. Als siefertig waren, war es neun Uhr. Lloyd hatte gesagt, dass er um neun Uhr aufbreche. Vielleicht stand er jetzt mit dem Koffer in der Hand in der Halle.
Boy erhob sich vom Tisch und ging ins Bad. Wie immer nahm er die Zeitung mit. Daisy kannte seine morgendlichen Gewohnheiten: Er würde fünf bis zehn Minuten verschwunden sein …
Jetzt oder nie! Kurz entschlossen rannte Daisy aus der Wohnung und
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