Winter der Welt - Die Jahrhundert-Saga Roman
Katherina der Großen?«, sagte der Schöne George. »Gibt’s da nicht ’ne Geschichte von ihr und ihrem Pferd?«
»Na, na, es sind Damen anwesend«, sagte Nobby tadelnd.
»Wenn die Deutschen ihre Bomben abwerfen, gibt’s bei uns keine Damen und Herren mehr«, erwiderte George.
Er hatte recht. Sobald die Bomben fielen und sie sich durch die Trümmer gruben, um die Verletzten zu retten, verwischten sich die Unterschiede zwischen den Geschlechtern, und es gab keine Hierarchie mehr.
Daisy mochte ihre Kameraden, sogar den Schönen George. Sie hätten ihr Leben für sie gegeben – genauso, wie Daisy sich für sie geopfert hätte.
Draußen ertönte ein Heulen, das rasch anschwoll und durchdringender wurde, bis das vertraute Jaulen einer Luftschutzsirene zu hören war. Sekunden später war die erste ferne Explosion einer Fliegerbombe zu vernehmen. Der Alarm kam oft zu spät; manchmal waren die ersten Bomben bereits eingeschlagen, wenn die Sirene losheulte.
Alle sprangen auf. Müde fragte George: »Gönnen die Krauts sich nicht mal einen Tag Pause?«
Das Telefon klingelte. Nobby hob ab, hörte einen Moment zu, legte auf und sagte: »Nutley Street.«
»Ich weiß, wo das ist«, sagte Naomi, als der Trupp aus dem Gebäude eilte. »Unsere Abgeordnete wohnt da.«
Sie sprangen in die Fahrzeuge. Während Daisy losfuhr, sagte Naomi, die neben ihr saß: »Was für eine großartige Zeit.«
Natürlich war Naomis Bemerkung ironisch gemeint, aber für Daisy hatten die Tage und Wochen tatsächlich etwas Großartiges: Sie schuftete und litt für eine gute Sache. Es war so viel sinnvoller und erfüllender als ein Leben, das nur an Vergnügungen ausgerichtet war. Daisy war nun Teil einer Gruppe, die alles riskierte, um anderen zu helfen, auch auf die Gefahr hin, selbst in einem brennenden Gebäude zu sterben. Jede Nacht kämpfte sie gegen Schmerz, Tod und Verzweiflung, und auch wenn dieser Kampf oft aussichtslos war, gab er ihrem Leben einen ganz neuen, tieferen Sinn.
Daisy hasste die Deutschen nicht. Von ihrem Schwiegervater, Earl Fitzherbert, wusste sie, weshalb die Luftwaffe London mit solcher Wut und Verbissenheit bombardierte. Bis Ende August hatten die Deutschen ausschließlich Häfen und Flugplätze angegriffen und zivile Ziele gemieden. Die Briten jedoch hatten weniger Skrupel gekannt. Bereits im Mai hatte die Regierung die Bombardierung deutscher Städte gebilligt, und den ganzen Juni und Juli hindurch hatte die Royal Air Force nicht nur Industrieanlagen, sondern auch Wohngebiete in Schutt und Asche gelegt. Die deutsche Öffentlichkeit hatte Vergeltung gefordert. Das Ergebnis war der Bombenkrieg gegen London und andere englische Städte, den die Briten »Blitz« nannten.
Die Nutley Street war ein einziges Flammenmeer. Die Luftwaffe warf Brand- und Sprengbomben, was besonders verheerend war, denn die Sprengbomben sorgten dafür, dass die Brände sich schneller ausbreiteten, da sie Fenster und Türen zerschmetterten und brennendes Material umherschleuderten.
Daisy stellte den Rettungswagen an einer halbwegs geschützten Stelle ab; dann machten sie und die anderen sich an die Arbeit, halfen Leichtverletzten zum nächsten Erste-Hilfe-Posten und fuhren schwerer Verletzte nach St. Bart’s oder zum London Hospital in Whitechapel.
Als es dunkel wurde, schaltete Daisy die Scheinwerfer ein, die den Verdunkelungsvorschriften entsprechend abgeblendet waren; nur ein schmaler Schlitz ließ Licht durch. Doch es war eine überflüssige, beinahe lächerliche Vorsichtsmaßnahme in einer Stadt, die wie ein Scheiterhaufen brannte.
Die Bombardierungen hielten bis zur Morgendämmerung an. Bei Tageslicht waren die deutschen Bomber verwundbar und wurden von britischen Abfangjägern attackiert, wie Boy und seine Kameraden sie flogen; deshalb verebbte der Luftangriff, als es hell wurde. Als das kühle graue Licht sich über die Trümmerlandschaft legte, kehrten Daisy und Naomi noch einmal in die Nutley Street zurück, doch es gab keine weiteren Opfer, die ins Hospital geschafft werden mussten.
Müde setzten sie sich auf die Reste einer Gartenmauer. Daisy nahm den Stahlhelm ab. Sie starrte vor Schmutz und war zu Tode erschöpft. Gern hätte sie gewusst, was die Mädchen im Buffalo Yacht Club jetzt von ihr gehalten hätten, obwohl ihr deren Meinung nicht mehr viel bedeutete. Die Zeiten, als es für Daisy nichts Wichtigeres als gesellschaftliche Anerkennung gegeben hatte, schienen sehr lange zurückzuliegen.
»Möchtet ihr eine schöne
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