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Winter der Welt - Die Jahrhundert-Saga Roman

Winter der Welt - Die Jahrhundert-Saga Roman

Titel: Winter der Welt - Die Jahrhundert-Saga Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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Tasse Tee?«, fragte jemand mit walisischem Akzent.
    Als Daisy aufblickte, sah sie eine hübsche Frau mittleren Alters, die mit einem Tablett vor ihr und Naomi stand.
    »Das kann ich jetzt gebrauchen, danke«, sagte Daisy und nahm sich eine Tasse. Mittlerweile mochte sie das Getränk. So bitter es schmeckte, es wirkte belebend.
    Zu Daisys Erstaunen gab die Frau Naomi einen Kuss auf die Wange, ehe sie weiterging.
    »Wir sind verwandt«, sagte Naomi, als sie Daisys fragenden Blick bemerkte. »Ihre Tochter Millie ist meine Schwägerin. Millie hat meinen Bruder Abie geheiratet.«
    Daisy beobachtete die Frau, wie sie mit dem Tablett die Runde in der kleinen Menge aus Luftschutzwarten, Feuerwehrleuten und Anwohnern machte. Sie strahlte Autorität und Selbstsicherheitaus, und alle behandelten sie mit sichtlichem Respekt. Zugleich war sie erkennbar eine Frau des Volkes und sprach jeden mit ungekünstelter Warmherzigkeit an. Sie kannte auch Nobby und den Schönen George und begrüßte sie wie alte Freunde.
    Schließlich nahm sie sich selbst die letzte Tasse Tee, kam zu Daisy, setzte sich neben sie und sagte freundlich: »Sie hören sich wie eine Amerikanerin an.«
    Daisy nickte. »Ich bin mit einem Engländer verheiratet.«
    »Danke für Ihren Einsatz. Ich wohne in dieser Straße, wissen Sie. Mein Haus ist den Bomben wieder mal entkommen. Übrigens, ich bin Eth Leckwith, Parlamentsabgeordnete für Aldgate.«
    Daisy konnte es kaum glauben. Diese Frau war Ethel Leckwith, Lloyds berühmte Mutter? Sie tauschten einen Händedruck. »Daisy Fitzherbert.«
    Ethel zog die Brauen hoch. »Ach! Sie sind die Viscountess Aberowen.«
    Daisy errötete und senkte die Stimme. »Das weiß beim Luftschutz niemand.«
    »Ihr Geheimnis ist bei mir sicher.«
    Zögernd sagte Daisy: »Ich kenne Ihren Sohn Lloyd.« Tränen traten ihr in die Augen, als sie an ihre Zeit auf Tŷ Gwyn dachte, an die Fehlgeburt und daran, wie Lloyd sich um sie gekümmert hatte. »Er war sehr gut zu mir, als ich einmal Hilfe gebraucht habe. Er war ein wirklich netter Mann.«
    »Das freut mich«, sagte Ethel. »Aber Sie sollten nicht von ihm sprechen, als wäre er tot.«
    »Tut mir leid. Er wird nur vermisst, ich weiß. Das war dumm von mir.«
    »Er wird nicht mehr vermisst«, entgegnete Ethel. »Er ist über Spanien aus Frankreich geflohen. Gestern ist er hier angekommen.«
    »Was?« Daisy stockte das Herz.
    »Er ist wieder da. Und er sieht sogar ganz gut aus, wenn man bedenkt, was er durchgemacht hat.«
    »Wo …« Daisy schluckte. »Wo ist er denn jetzt?«
    »Er muss hier irgendwo sein.« Ethel schaute sich um. »Lloyd?«
    Aufgeregt ließ Daisy den Blick über die Menge schweifen. Lloyd war hier?
    Ein Mann in einem zerrissenen braunen Mantel drehte sich um. »Ja?«
    Daisy starrte ihn an. Sein Gesicht war sonnenverbrannt, und er war erschreckend mager, sah aber attraktiver aus als je zuvor.
    »Komm doch mal her«, sagte Ethel.
    Lloyd machte einen Schritt vor – und dann sah er Daisy. Schlagartig veränderte sich seine Miene, und er lächelte bis über beide Ohren. »Hallo«, sagte er.
    »Lloyd«, begann Ethel, »vielleicht erinnerst du dich …«
    Daisy rannte zu ihm, warf sich in seine Arme und küsste ihn auf die braunen Wangen, die gebrochene Nase und den Mund. »Ich liebe dich, Lloyd!«, rief sie. »Ich liebe dich, ich liebe dich, ich liebe dich!«
    »Ich liebe dich auch, Daisy«, sagte er.
    Hinter sich hörte Daisy die ironische Stimme Ethels. »Ich sehe schon, du erinnerst dich.«

    Lloyd aß Toast mit Marmelade, als Daisy in das Haus an der Nutley Street kam. Sie sah erschöpft aus, setzte sich an den Tisch und nahm den Stahlhelm ab. Ihr Gesicht war schmutzig, ihr Haar voller Asche und Staub, aber Lloyd fand sie unwiderstehlich schön.
    Fast jeden Morgen kam sie vorbei, wenn die Bombardierungen endeten und das letzte Opfer ins Krankenhaus gebracht worden war. Lloyds Mutter hatte ihr gesagt, sie brauche keine Einladung, und Daisy hatte sie beim Wort genommen.
    Ethel schenkte Daisy eine Tasse Tee ein und fragte: »Eine schwere Nacht, meine Liebe?«
    Daisy nickte. »Eine der schlimmsten Nächte überhaupt. Das Peabody-Gebäude auf der Orange Street ist niedergebrannt.«
    »Oh nein!«, stieß Lloyd hervor. Er kannte das Gebäude: Es war ein hoffnungslos überbelegtes Mietshaus, in dem arme, kinderreiche Familien wohnten.
    »Das ist ein großes Haus«, sagte Bernie.
    »Es war ein großes Haus«, erwiderte Daisy. »Hunderte von Menschen sind verbrannt, und Gott allein

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