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Winter der Welt - Die Jahrhundert-Saga Roman

Winter der Welt - Die Jahrhundert-Saga Roman

Titel: Winter der Welt - Die Jahrhundert-Saga Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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weiß, wie viele Kinderzu Waisen wurden. Fast alle, die wir aus den Trümmern geholt haben, sind auf dem Weg ins Krankenhaus gestorben.«
    Lloyd griff über den kleinen Tisch hinweg und nahm ihre Hand.
    Sie blickte von ihrer Tasse auf. »Man gewöhnt sich einfach nicht daran. Man denkt, irgendwann ist man abgehärtet, aber das stimmt nicht.« Traurig ließ sie den Kopf sinken.
    Ethel legte ihr eine Hand auf die Schulter, eine kurze Geste des Mitgefühls.
    »Und wir machen das Gleiche mit den Zivilisten in Deutschland«, fügte Daisy leise hinzu. »Ist das nicht schrecklich?« Sie schüttelte den Kopf. »Was stimmt nicht mit uns?«
    »Was stimmt nicht mit der Gattung Mensch«, sagte Lloyd.
    Bernie, praktisch wie immer, sagte: »Ich gehe nachher hinüber in die Orange Street und sehe zu, dass für die Kinder alles getan wird, was getan werden kann.«
    »Ich begleite dich«, sagte Ethel.
    Bernie und Ethel handelten oft im Einklang, ohne ein Wort gewechselt zu haben, als könnten sie die Gedanken des anderen lesen. Lloyd hatte sie beobachtet, seit er nach Hause zurückgekehrt war; er machte sich Sorgen, ihre Ehe könnte unter der schockierenden Neuigkeit gelitten haben, dass Ethel nie einen Mann namens Teddy Williams geheiratet hatte und dass Earl Fitzherbert Lloyds Vater war. Doch er entdeckte kein Anzeichen, dass es für Bernie irgendwie von Bedeutung war. Auf seine unsentimentale Art verehrte er Ethel wie eh und je.
    Daisy fiel auf, dass Lloyd Uniform trug. »Wohin willst du heute Morgen?«
    »Ich bin ins Kriegsministerium gerufen worden.« Er blickte auf die Uhr auf dem Kaminsims. »Ich muss gleich los.«
    »Ich dachte, du hättest deinen Rapport schon erstattet.«
    »Komm mit in mein Zimmer, und ich erkläre es dir, wenn ich mir die Krawatte binde. Bring deinen Tee mit.«
    Sie gingen nach oben. Daisy schaute sich interessiert um; schließlich war sie noch nie in Lloyds Zimmer gewesen. Sie schaute auf das schmale Bett, das Regal mit Romanen auf Deutsch, Französisch und Spanisch und den Schreibtisch mit der Reihe angespitzter Bleistifte.
    »Ein hübsches Zimmer«, sagte sie und nahm eine gerahmte Fotografie in die Hand. Sie zeigte die Familie am Meer: den kleinen Lloyd in Shorts; Millie, die kaum laufen konnte, in einem Badeanzug; die junge Ethel mit einem großen Schlapphut und Bernie in einem grauen Anzug, dessen weißes Hemd am Kragen offen stand, auf dem Kopf ein geknotetes Taschentuch.
    »Southend«, erklärte Lloyd. Er nahm Daisys Tasse, stellte sie auf die Kommode, nahm sie in die Arme und küsste sie auf den Mund. Sie erwiderte den Kuss mit zurückhaltender Zärtlichkeit, streichelte ihm die Wange und ließ sich gegen ihn sinken. »Sei nicht böse, ich bin todmüde«, sagte sie, zog die Gummistiefel aus und legte sich auf sein Bett. »Was will man von dir?«
    »Das Kriegsministerium hat mich um ein weiteres Gespräch gebeten.« Er schlang sich die Krawatte um den Hals.
    »Aber du warst letztes Mal doch schon für Stunden dort.«
    Das stimmte. Man hatte ihn aufgefordert, sein Gedächtnis nach jeder Einzelheit seiner Flucht durch Frankreich zu durchforsten. Solche Nachbesprechungen waren üblich. Von jedem deutschen Soldaten, dem Lloyd begegnet war, wollte man Rang und Einheit wissen. Natürlich konnte Lloyd sich nicht an alles erinnern, doch während des Kurses auf Tŷ Gwyn hatte er gewissenhaft seine Hausaufgaben gemacht und konnte seinen Vorgesetzten zahlreiche Informationen liefern.
    Man hatte ihn auch danach befragt, wie er geflohen sei, welche Straßen und Wege er genommen und von wem er Hilfe erhalten habe. Seine Vorgesetzten horchten auf, als sie von Maurice und Marcelle hörten, und tadelten ihn, weil er ihre Nachnamen nicht herausgefunden hatte. Vor allem interessierten sie sich für Teresa, denn sie konnte weiteren Flüchtigen große Hilfe leisten.
    »Heute spreche ich mit anderen Leuten«, sagte Lloyd nun zu Daisy und blickte auf den maschinengeschriebenen Brief, der auf seiner Kommode lag. »Im Hotel Metropole an der Northumberland Avenue. Zimmer 424.« Die Straße befand sich in einem Behördenviertel abseits des Trafalgar Square. »Offenbar ist es eine neue Abteilung, die für britische Soldaten in Gefangenschaft zuständig ist.« Er setzte seine Schirmmütze auf und blickte in den Spiegel. »Sehe ich schick genug aus?«
    Als Daisy nicht antwortete, schaute Lloyd zum Bett.
    Daisy war eingeschlafen.
    Lloyd breitete eine Decke über sie, küsste sie auf die Stirn und ging hinaus.
    Er hatte ihr

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