Winter der Welt - Die Jahrhundert-Saga Roman
gestellt.
Die Hälfte der Anwesenden versuchte, aus dem Saal herauszukommen; die anderen schrien und schüttelten die Fäuste inRichtung der Braunhemden. Die Leute, die hinauswollen, rempelten einander an, und hier und da gab es Rangeleien. Viele Frauen weinten.
Auf der Bühne klammerte sich Walter ans Rednerpult und rief: »Bleibt ruhig, Genossen! Es gibt keinen Grund zur Unruhe!« Doch in dem Aufruhr konnten die meisten ihn nicht hören, oder sie beachteten ihn nicht.
Die ersten Braunhemden sprangen von der Bühne und wühlten sich in die Zuschauermenge hinein. Lloyd packte seine Mutter am Arm, während Werner schützend Maud an sich zog. Gemeinsam kämpften sie sich zum nächsten Ausgang durch. Doch sämtliche Türen waren von Leuten verstopft, die panisch versuchten, aus dem Saal hinauszukommen. Es war das nackte Chaos.
Auf der Bühne skandierten die Braunhemden immer noch: »Raus! Raus! Raus!« Sie waren größtenteils kräftige junge Burschen, während zu den Versammlungsteilnehmern auch Frauen und alte Männer zählten. Lloyd sah ein, dass es keine gute Idee wäre, einen Kampf vom Zaun zu brechen.
Ein Mann, der einen Stahlhelm trug, stieß Lloyd mit der Schulter an, sodass er gegen seine Mutter prallte. Lloyd widerstand dem Impuls, sich umzudrehen und den Mann zur Rede zu stellen. Jetzt musste er erst einmal seine Mutter in Sicherheit bringen.
Ein sommersprossiger Junge, der einen Knüppel hielt, legte Werner die Hand auf den Rücken, schubste ihn vorwärts und schrie dabei: »Raus! Raus! Raus!« Werner fuhr herum und trat einen Schritt auf den Kerl zu. »Fass mich nicht an, du Faschistenschwein«, zischte er und hob die Faust zum Schlag. Der milchgesichtige Nazi-Schläger erstarrte. Er hatte nicht mit Widerstand gerechnet und war sichtlich eingeschüchtert.
Werner wandte sich von dem Jungen ab und kämpfte sich zu Lloyd durch, damit sie die beiden Frauen gemeinsam in Sicherheit bringen konnten. Aber der hünenhafte Anführer der Nazis hatte den Zwischenfall bemerkt. »He, du da!«, rief er und kam auf Werner zu. »Wen nennst du hier Schwein?« Er schwang die Faust, streifte Werner aber nur am Hinterkopf. Dennoch schrie Werner vor Wut und Schmerz auf und taumelte nach vorn.
Wolodja drängte sich zwischen die beiden und drosch dem Nazi-Schläger die Fäuste ins Gesicht. Der riesige Mann wanktezurück. Lloyd bewunderte die schnelle Schlagfolge. Offenbar war Wolodja ein geübter Boxer. Aber jetzt musste Lloyd sich erst einmal um Maud und Ethel kümmern, denn endlich erreichten er und die anderen die Tür. Trotz des Gedränges gelang es Lloyd und Werner, den Frauen ins Foyer zu helfen. Hier ließ der Druck der Menge nach; der Lärm und die Gewalttätigkeiten blieben hinter ihnen zurück. Braunhemden waren hier keine zu sehen.
Nachdem sie dafür gesorgt hatten, dass die Frauen in Sicherheit waren, blickten Lloyd und Werner in den Saal zurück, aus dem noch immer Lärm und Schreie drangen. Wolodja setzte sich tapfer gegen den Riesen zur Wehr, geriet aber mehr und mehr ins Hintertreffen. Zwar traf er immer wieder Kopf und Körper seines Gegners, doch seine Schläge zeigten kaum Wirkung; der Mann schüttelte nur seinen massigen Schädel, als wollte er ein lästiges Insekt verscheuchen. Der Nazi war schwerfällig, doch seine Schläge trafen Wolodja mit solcher Wucht an Brust und Kopf, dass er ins Wanken geriet. Plötzlich hob der Hüne die Faust zu einem vernichtenden Schlag. Lloyd schrie auf vor Angst, dass der Kerl Wolodja erschlagen würde.
In diesem Augenblick sprang Walter von der Bühne und landete auf dem Rücken des Hünen. Lloyd hätte ihm am liebsten zugejubelt. Die beiden Männer gingen zu Boden, und Wolodja war für den Augenblick gerettet.
Der sommersprossige Junge, der Werner angerempelt hatte, hatte sich inzwischen andere Opfer gesucht. Brutal schlug er mit seinem Knüppel auf sie ein.
»Du elender Feigling!«, rief Lloyd und wollte sich auf ihn stürzen, doch bevor er den Schläger erreichen konnte, drängte Werner sich an ihm vorbei, packte den Knüppel und versuchte, ihn dem Nazi aus der Hand zu reißen.
Der ältere Mann mit dem Stahlhelm hatte die Szene beobachtet. Nun kam er mit wutverzerrtem Gesicht herbeigerannt und schlug Werner mit dem Griff einer Spitzhacke. Lloyd versetzte dem Mann eine rechte Gerade. Der Schlag traf perfekt, unmittelbar neben dem linken Auge.
Aber der Mann war Kriegsveteran und ließ sich nicht so leicht entmutigen. Er wirbelte herum und schlug mit seinem
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