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Winter der Welt - Die Jahrhundert-Saga Roman

Winter der Welt - Die Jahrhundert-Saga Roman

Titel: Winter der Welt - Die Jahrhundert-Saga Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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wie es funktionieren sollte … All das hatte keine Bedeutung mehr. Wolodja empfand nur noch das überwältigende Verlangen, den Feind zurückzuschlagen, der seiner Mutter, seiner Schwester, den Zwillingen und Zoja Gewalt und Tod, Hunger und Vergewaltigung zu bringen drohte.
    Dabei war Wolodja sich durchaus bewusst, dass er keine Spione mehr haben würde, wenn jeder so dachte. Seine deutschen Informanten waren Menschen, die zu dem Schluss gekommen waren, dass der Kampf gegen die furchtbare Grausamkeit der Nazis schwerer wog als Patriotismus und persönliche Loyalitäten. Wolodja war diesen Menschen dankbar für ihren Mut und ihre Moral, doch er selbst empfand anders.
    Gleiches galt für viele andere junge Männer in der GRU , und eine kleine Kompanie von ihnen schloss sich Anfang Dezember einem Schützenbataillon an. Wolodja küsste seine Eltern, schriebZoja einen knappen Brief, in dem er seiner Hoffnung Ausdruck verlieh, sie eines Tages wiederzusehen, und zog in die Kaserne.
    Endlich führte Stalin Verstärkungen aus dem Osten nach Moskau. Dreizehn sibirische Divisionen wurden gegen die immer näher rückenden Deutschen in Stellung gebracht. Auf ihrem Weg an die Front kamen einige der Sibirier durch Moskau, und die Moskowiter starrten diese Männer in den weißen Steppmänteln und Schaffellstiefeln mit ihren Skiern, Schneebrillen und zähen Steppenponys hoffnungsvoll an. Sie kamen gerade rechtzeitig für den russischen Gegenangriff.
    Das war die letzte Chance der Roten Armee. In den vergangenen fünf Monaten hatte die Sowjetunion den deutschen Eindringlingen immer wieder Hunderttausende von Männern entgegengeworfen. Und jedes Mal hatten die Deutschen kurz angehalten, den Angriff abgewehrt und dann ihren Vormarsch erbarmungslos fortgesetzt. Sollte auch dieser Gegenangriff scheitern, würde es keinen weiteren mehr geben. Die Deutschen würden Moskau einnehmen, und wenn sie Moskau hatten, dann hatten sie die UdSSR , und Wolodjas Mutter würde Wodka auf dem Schwarzmarkt gegen Milch für Dimka und Tanja tauschen.
    Am 4. Dezember rückten die sowjetischen Streitkräfte aus der Stadt in Richtung Norden, Westen und Süden ab und nahmen ihre Ausgangsstellungen für den letzten Angriff ein. Panzer und Lastwagen fuhren ohne Licht, um den Feind nicht zu alarmieren, und die Männer durften weder Feuer machen noch Zigaretten rauchen.
    Am Abend kamen NKWD -Agenten an die Front. Seinen rattengesichtigen Schwager Ilja Dworkin konnte Wolodja allerdings nicht entdecken, obwohl der mit Sicherheit dazugehörte. Zwei Agenten, die Wolodja nicht kannte, kamen in die Stellung, wo er und ein Dutzend Männer gerade ihre Gewehre reinigten. »Habt ihr gehört, wie jemand die Regierung kritisiert hat?«, wollten sie wissen. »Was sagen eure Genossen über Genosse Stalin? Wer von euren Genossen stellt die Klugheit der Armeeführung infrage?«
    Wolodja konnte es nicht glauben. Unter diesen Umständen war das doch völlig egal. In den nächsten paar Tagen würde Moskau entweder gewonnen oder verloren werden. Wen kümmerte es da noch, ob die Soldaten sich über ihre Offiziere beschwerten? Wolodja kürzte die Befragung ab, indem er erklärte, die Männer hätten den Befehl zu schweigen und er sei befugt, jeden zu erschießen, der sich dem widersetzte. Aber, fügte er kühn hinzu, im Fall der beiden Geheimpolizisten würde er noch einmal Gnade vor Recht ergehen lassen, falls sie sofort verschwänden.
    Es funktionierte, doch Wolodja hegte keinerlei Zweifel daran, dass der NKWD die Moral der Truppe an der gesamten Front untergrub.
    Am Abend des 5. Dezember begann die russische Artillerie mit dem Trommelfeuer, und am nächsten Morgen griffen Wolodja und sein Bataillon inmitten eines Schneesturms an. Ihr Befehl lautete, eine kleine Stadt auf der anderen Seite eines Kanals einzunehmen.
    Wolodja ignorierte den Befehl, die deutschen Verteidigungsstellungen frontal anzugreifen. Das war die typische, alte russische Taktik, und jetzt war nicht der geeignete Zeitpunkt, um an falschen, wenn auch althergebrachten Strategien festzuhalten. Mit seinen hundert Mann marschierte Wolodja flussaufwärts und überquerte nördlich der Stadt das Eis, um die Deutschen in der Flanke anzugreifen. Zu seiner Linken hörte er das Grollen der Schlacht; deshalb wusste er, dass er hinter den feindlichen Linien war.
    Der peitschende Schnee machte Wolodja fast blind. Gelegentlich hellte das Mündungsfeuer der Geschütze die Wolken auf, doch in Bodenhöhe konnte man nur wenige Meter

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