Winter der Welt - Die Jahrhundert-Saga Roman
keine Miene, nur ihre Nasenflügel hoben sich – ein Zeichen, dass sie wütend wurde. »Habe ich dir diese Frage auch gestellt?«, erwiderte sie.
»Nein, aber …«
»Und?«
»Ich wundere mich nur. Erwartest du von mir, dass ich dort lebe, wohin dein Beruf dich führt?«
»Ich habe immer versucht, dir entgegenzukommen, Woody. Ich finde, das solltest du bei mir auch tun.«
»Aber das ist nicht das Gleiche.«
»Nicht?«, erwiderte sie gereizt. »Das ist mir neu.«
Woody fragte sich, wie das Gespräch so schnell eine solche Wendung hatte nehmen können. Um einen versöhnlichen Tonfall bemüht, sagte er: »Wir haben doch über Kinder gesprochen.«
»Wenn Kinder mich in unserer Ehe zu einem Menschen zweiter Klasse machen, dann bekommen wir keine.«
»Du lieber Himmel. Wenn du zur Botschafterin ernannt wirst, erwartest du dann, dass ich alles stehen und liegen lasse und mit dir gehe?«
»Ich erwarte, dass du sagst: ›Liebling, das ist eine großartige Gelegenheit für dich, und ich werde dir bestimmt nicht im Weg stehen.‹ Ist das so unzumutbar?«
»Ja!« Woody war ratlos und verärgert. »Welchen Sinn hätte es, verheiratet zu sein, wenn wir nicht zusammen sind?«
»Wenn es zum Krieg kommt, würdest du dich freiwillig melden?«
»Wahrscheinlich schon.«
»Und die Army würde dich dorthin schicken, wo du gebraucht wirst – nach Europa oder in den Fernen Osten.«
»Ja.«
»Also gehst du dorthin, wohin deine Pflicht dich führt, und lässt mich zu Hause zurück.«
»Wenn es sein muss.«
»Und ich darf das nicht?«
»Das ist etwas ganz anderes.«
»Es mag sich seltsam anhören, aber meine Karriere und der Dienst für mein Land sind mir wichtig – genauso wichtig wie dir.«
»Das ist völlig verdreht!«
»Tut mir wirklich leid, Woods, dass du so denkst. Eigentlich wollte ich mit dir über unsere gemeinsame Zukunft sprechen. Jetzt frage ich mich, ob wir überhaupt eine gemeinsame Zukunft haben.«
»Natürlich, was denn sonst!« Woody atmete tief durch. »Herrgott, wie konnte es so weit kommen? Was ist aus uns geworden?«
Ein Stoß ging durch die Maschine. Der Clipper hatte aufgesetzt.
Sie waren in Hawaii.
Chuck Dewar hatte Angst, seine Eltern könnten sein Geheimnis erfahren.
Zu Hause in Buffalo hatte er keine echte Liebesaffäre gehabt; mehr als hastige Fummeleien in dunklen Gassen mit Jungen, die er kaum kannte, hatte es nie gegeben. Er war nicht zuletzt deshalb in die Navy eingetreten, weil er dadurch an Orte kam, an denener seinen sexuellen Neigungen nachgehen konnte, ohne dass seine Eltern davon erfuhren.
Seit er auf Hawaii war, hatte sich alles geändert. Hier gehörte er einer verschwiegenen Gemeinschaft junger Männer an, die ähnliche sexuelle Präferenzen hatten. Chuck besuchte Bars, Restaurants und Tanzdielen, in denen er nicht vorgeben musste, heterosexuell zu sein. Nach einigen Affären hatte er sich verliebt und lebte nun in einer festen Beziehung. Viele hier kannten sein Geheimnis, nur seine Eltern nicht.
Und jetzt waren sie gekommen.
Sein Vater hatte eine Einladung zur Fernmeldeaufklärungseinheit des Marinestützpunkts erhalten, die als »Station HYPO « bekannt war. Als Mitglied des Außenausschusses des Senats kannte Senator Dewar eine Reihe militärischer Geheimnisse; unter anderem hatte er bereits das Hauptquartier der Arbeitsgruppe für Fernmeldeaufklärung in Washington besichtigt, das OP -20-G.
Chuck holte seinen Vater an dessen Hotel in Honolulu mit einem Wagen der Navy ab, einer Packard-LeBaron-Limousine. Gus trug einen weißen Strohhut. Als sie am Hafenbecken entlangfuhren, stieß er einen leisen Pfiff aus. »Die Pazifikflotte«, sagte er. »Ganz schön beeindruckend.«
Chuck stimmte ihm zu. »Ja, das ist schon ein Anblick, nicht wahr? Für mich ist die Navy das Allergrößte. Und Schiffe sind wunderschön, besonders, wenn sie so gestrichen, geschrubbt und auf Vordermann gehalten werden, findest du nicht auch?«
»Ja«, sagte Gus. »So viele Schlachtschiffe in einer perfekt geraden Linie …«
»Wir nennen es die Schlachtschiff-Allee. Vor der Insel ankern die Maryland , die Tennessee , die Arizona , die Nevada , die Oklahoma und die West Virginia .« Schlachtschiffe wurden nach US -Bundesstaaten benannt. »Im Hafen liegen außerdem die California und die Pennsylvania , aber die kannst du von hier aus nicht sehen.«
Am Haupttor des Navy Yard erkannte der Posten von der Marineinfanterie den offiziellen Wagen und winkte ihn durch. Chuck und Gus fuhren zur
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