Winter der Welt - Die Jahrhundert-Saga Roman
waren, dass er sich nun in solchen Kreisen bewegte.
Werner hielt Macke die Zigarettenpackung hin, und Macke nahm sich eine. »Ein Bier«, sagte Werner zu Fritz. Dann wandte er sich wieder Macke zu und fragte: »Darf ich Ihnen einen ausgeben, Herr Hauptsturmführer?«
»Warum nicht?«
Fritz füllte zwei Krüge, und Werner prostete Macke zu. »Ich möchte auf Sie trinken.«
Schon wieder eine Überraschung. »Warum?«, fragte Macke.
»Vor einem Jahr haben Sie mir den Kopf zurechtgerückt.«
»Damals schienen Sie sich darüber nicht gerade gefreut zu haben.«
»Und dafür möchte ich mich bei Ihnen entschuldigen. Außerdem habe ich viel über die Dinge nachgedacht, die Sie zu mir gesagt haben, und bin zu dem Schluss gekommen, dass Sie recht hatten. Ich habe zugelassen, dass persönliche Gefühle mein Urteil beeinträchtigen. Sie haben mich wieder auf den rechten Pfad geführt. Das werde ich Ihnen nie vergessen.«
Macke war gerührt. Er hatte Werner nicht gemocht und war hart mit ihm ins Gericht gegangen, aber der junge Bursche hatte sich seine Worte offenbar zu Herzen genommen und sich geändert. Macke wurde bei der Vorstellung, im Leben eines jungen Mannes so viel bewirkt zu haben, ganz warm ums Herz.
Werner fuhr fort: »Erst gestern musste ich wieder daran denken. Der General hat darüber gesprochen, wie man Spione enttarnt, und hat mich gefragt, ob wir ihre Funksignale zurückverfolgen können. Ich fürchte nur, ich konnte ihm nicht viel darüber erzählen.«
»Sie hätten mich fragen sollen«, sagte Macke. »Das ist meine Spezialität.«
»Wirklich?«
»Kommen Sie, setzen wir uns.«
Sie gingen mit ihren Bierkrügen zu einem dreckstarrenden Tisch.
»Die Männer hier sind allesamt Polizeibeamte«, erklärte Macke. »Trotzdem sollte man nicht öffentlich über solche Dinge reden.«
»Natürlich.« Werner senkte die Stimme. »Aber ich weiß, dass ich Ihnen vertrauen kann. Mehrere Frontoffiziere haben General Dorn erzählt, dass sie manchmal das Gefühl haben, der Feind kenne unsere Pläne im Voraus.«
»Ah!«, sagte Macke. »Das habe ich befürchtet.«
»Was kann ich General Dorn denn nun über das Zurückverfolgen von Funksignalen sagen?«
»Der Trick heißt Goniometrie.« Macke konzentrierte sich. Das war die Gelegenheit für ihn, einen bedeutenden General zu beeindrucken, und sei es nur indirekt. Er musste sich klar und deutlich ausdrücken und die Wichtigkeit seiner Arbeit hervorheben, ohne den eigenen Erfolg zu sehr zu betonen. Vor seinem geistigen Auge sah er schon, wie General Dorn dem Führer gegenüber beiläufigsagte: »Übrigens gibt es einen sehr guten Mann bei der Gestapo, Thomas Macke. Im Augenblick ist er nur Kommissar, aber er ist sehr vielversprechend …«
»Wir haben da ein Instrument, das uns verrät, aus welcher Richtung ein Signal kommt«, begann Macke. »Wenn wir das Signal von drei weit auseinanderliegenden Positionen einmessen, können wir entsprechende Linien auf einer Karte ziehen. Da, wo sie sich kreuzen, steht der Sender.«
»Das ist ja fantastisch!«
Macke hob warnend die Hand. »Aber nur in der Theorie«, sagte er. »In der Praxis ist es weitaus schwieriger. Der Pianist – so nennen wir den Funker – bleibt für gewöhnlich nicht lange genug an einem Ort, als dass wir ihn finden könnten. Ein vorsichtiger Pianist sendet nie zweimal von derselben Stelle aus. Außerdem ist unser Gerät in einem Lastwagen mit einer auffälligen Antenne auf dem Dach untergebracht, sodass der Spion uns schon von Weitem kommen sieht.«
»Aber Sie haben doch auch schon Erfolge gehabt, oder?«
»Oh ja. Vielleicht wollen Sie ja mal mit dem Wagen mitfahren. Dann können Sie selbst sehen, wie das funktioniert, und General Dorn einen Bericht aus erster Hand erstatten.«
»Ein großartiger Einfall«, sagte Werner.
Moskau im Juni war sonnig und warm. Zur Mittagszeit wartete Wolodja an einem Springbrunnen im Alexandergarten hinter dem Kreml auf Zoja. Hunderte von Menschen spazierten an ihm vorbei, darunter viele Paare, und genossen das Wetter. Das Leben war hart; sogar das Wasser des Springbrunnens war abgedreht worden, um Energie zu sparen. Doch der Himmel war blau, die Bäume standen in vollem Saft, und die deutsche Wehrmacht war Hunderte von Kilometern entfernt.
Wolodja war jedes Mal stolz, wenn er an die Schlacht um Moskau zurückdachte. Die gefürchtete deutsche Wehrmacht, die Meisterin des Blitzkriegs, hatte vor den Toren der Stadt gestanden – und war zurückgeworfen worden. Die
Weitere Kostenlose Bücher