Winter der Welt - Die Jahrhundert-Saga Roman
russischen Soldaten hatten wie die Löwen gekämpft und ihre Hauptstadt gerettet.
Unglücklicherweise war die russische Gegenoffensive im März zum Erliegen gekommen. Doch die Russen hatten ein riesiges Gebiet zurückgewonnen, und die Moskowiter fühlten sich viel sicherer. Aber die Deutschen hatten sich inzwischen ihre Wunden geleckt und bereiteten sich auf einen neuen Versuch vor.
Und Stalin hatte noch immer das Sagen.
Wolodja sah Zoja auf sich zukommen. Sie trug ein rot-weiß kariertes Kleid. Ihr Schritt war federnd, und ihr blassblondes Haar wippte im Takt. Alle Männer starrten sie an.
Wolodja war schon mit mehreren schönen Frauen ausgegangen, aber dass er nun Zoja hofierte, war selbst für ihn überraschend. Jahrelang war sie ihm mit kühler Gleichgültigkeit begegnet; wenn überhaupt, hatte sie mit ihm nur über Kernphysik geredet. Dann aber, eines Tages, hatte sie ihn zu seinem Erstaunen gefragt, ob er mit ihr ins Kino gehen wolle. Das war kurz nach dem Zwischenfall gewesen, bei dem General Bobrow getötet worden war. Zojas Einstellung zu Wolodja hatte sich an diesem Tag verändert. Er wusste nicht warum, aber irgendwie hatte es zu einer gewissen Intimität zwischen ihnen geführt.
Sie hatten sich George’s Dinky Jazz Band angeschaut, eine Slapstickkomödie um einen englischen Banjospieler mit Namen George Formby. Es war ein sehr beliebter Film, der schon seit Monaten in Moskau lief. Dabei war die Handlung so unrealistisch, wie sie nur sein konnte: Ohne dass George etwas davon bemerkte, schickte sein Banjo Nachrichten an deutsche U-Boote. Die Idee war so verrückt, dass sie vor Lachen beinahe vom Stuhl gefallen wären.
Seitdem waren sie regelmäßig ausgegangen.
Heute würden sie mit Wolodjas Vater zu Mittag essen. Wolodja hatte sich vorher mit Zoja am Springbrunnen verabredet, um ein paar Minuten mit ihr allein zu sein.
Zoja schenkte ihm ihr Tausend-Watt-Lächeln und stellte sich auf die Zehenspitzen, um ihn zu küssen. Sie war groß, aber Wolodja war größer. Er genoss den Kuss. Zojas Lippen waren weich und feucht. Und es war viel zu schnell vorbei.
Wolodja war sich ihrer nach wie vor nicht sicher. Sie gingen noch immer nur »Händchen halten«, wie die ältere Generation es nannte. Sie küssten sich oft, waren aber noch nicht zusammen im Bett gewesen. Nicht, dass sie zu jung gewesen wären – Wolodjawar siebenundzwanzig, Zoja achtundzwanzig –, doch Wolodja hatte das Gefühl, dass Zoja erst mit ihm schlafen würde, wenn sie wirklich bereit dazu war.
Ein Teil von ihm glaubte allerdings nicht daran, dass er je eine Nacht mit ihr verbringen würde. Sie war zu intelligent, zu selbstsicher und zu attraktiv, um sich einem Mann wie ihm hinzugeben. Er würde wohl nie zuschauen dürfen, wie sie sich auszog, würde nie ihren nackten Körper sehen, sie nie berühren …
Sie spazierten durch den Park. Auf der einen Seite zog sich eine stark befahrene Straße hin, auf der anderen erstreckte sich die Kremlmauer. »Wenn man sich den Kreml mit seinen Mauern so anschaut«, bemerkte Wolodja, »könnte man glauben, unsere Führer würden dort vom russischen Volk gefangen gehalten.«
»Ja«, erwiderte Zoja. »Dabei ist es genau andersherum.«
Wolodja schaute hinter sich, doch niemand hatte sie gehört. Dennoch war es dumm, so zu reden. »Kein Wunder, dass mein Vater dich für gefährlich hält«, sagte er.
»Ich habe mal gedacht, du wärst genau wie er.«
»Ich wünschte, es wäre so. Er ist ein Held. Er hat den Winterpalast gestürmt. Ich werde die Geschichte unseres Landes wahrscheinlich nie verändern.«
»Mag sein. Aber dein Vater ist auch engstirnig und konservativ. Du bist ganz anders.«
Wolodja war der Meinung, seinem Vater sogar sehr ähnlich zu sein, wollte Zoja aber nicht widersprechen.
»Hast du heute Abend frei?«, fragte sie. »Ich könnte für dich kochen.«
»Ja, sicher! Gern!«, erwiderte Wolodja begeistert. Sie hatte ihn noch nie zu sich eingeladen.
»Ich habe ein Steak.«
»Großartig.« Gutes Rindfleisch war selbst für Wolodjas privilegierte Familie etwas Besonderes.
»Und die Kowalews sind nicht in der Stadt.«
Das waren sogar noch bessere Neuigkeiten. Wie viele Moskowiter wohnte auch Zoja als Untermieterin. Sie hatte zwei Zimmer und teilte sich Küche und Bad mit einem anderen Wissenschaftler, Dr. Kowalew, und dessen Frau und Kind. Wenn die Familie nicht da war, hatten Zoja und Wolodja die Wohnung für sich allein.
»Soll ich meine Zahnbürste mitbringen?«, fragte er.
Zoja
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