Winter der Welt - Die Jahrhundert-Saga Roman
genau: Vor ihnen lag ein ungefähr hundert Yards breiter Sandstrand; danach kam ein Dickicht aus Palmen und anderen Pflanzen. Gleich hinter dieser Buschgrenze lag ein Sumpf, zumindest den alten Karten zufolge.
Erschwerend kam hinzu, dass die Küste verteidigt wurde, wenn auch nicht allzu heftig. Chuck hörte das Brüllen von Geschützfeuer, und eine Granate schlug im seichten Wasser ein. Sie richtete keinen Schaden an, aber die Geschützmannschaft würde sich einschießen. Das wussten auch die Marineinfanteristen: Sie bewegten sich schneller, sprangen aus dem Landungsboot an den Strand und rannten zur Buschgrenze.
Chuck war froh, dass er beschlossen hatte, mit dabei zu sein. Was seine Karten anging, war er niemals nachlässig oder desinteressiert gewesen, doch es war eine heilsame Erfahrung, aus erster Hand mitzuerleben, wie wichtig eine korrekte Kartierung war: Der kleinste Fehler konnte sich für die Marines tödlich auswirken.
Schon ehe sie sich eingeschifft hatten, hatten Chuck und Eddie höhere Ansprüche gestellt als üblich: Bei verschwommenen Luftbildern baten sie um Neuaufnahmen; sie befragten telefonisch Aufklärerbesatzungen und kabelten in die ganze Welt, um an bessere Karten zu kommen.
Chuck war mit sich zufrieden. Er hatte die richtigen Entscheidungen getroffen. Doch es gab noch einen anderen Grund, dass er sich gut fühlte: Er war auf See, und nichts liebte er so sehr. Er war auf einem Schiff mit siebenhundert jungen Männern und genoss die Kameradschaft, die Frotzeleien, die Lieder und die Intimität der überfüllten Schlafsäle und der Gemeinschaftsduschen.
»Das ist, als wäre man als Hetero in einem Mädchenpensionat«, sagte er eines Abends zu Eddie.
»Nur dass den Heteros so was nie passiert, uns aber schon«, erwiderte Eddie. Er dachte genauso wie Chuck. Sie liebten einander, hatten aber nichts dagegen, wenn der andere sich nackte Matrosen anschaute.
Nun verließen alle siebenhundert Marineinfanteristen das Schiff und gingen so schnell an Land, wie sie konnten. Das Gleiche geschah an acht anderen Punkten an diesem Küstenstreifen. Sobald ein Landungsboot leer war, wendete es unverzüglich und kehrte zum Mutterschiff zurück, um weitere Soldaten abzuholen. Trotzdem schien alles quälend langsam abzulaufen.
Der japanische Richtschütze im Dschungel fand schließlich die exakte Entfernungseinstellung. Zu Chucks Entsetzen orgelte eine gut gezielte Granate mitten in eine Traube von Marineinfanteristen. Die Explosion wirbelte Männer, Gewehre und Körperteile durch die Luft und verteilte sie über den Strand, wo sie den Sand rot färbten.
Entsetzt starrte Chuck auf das Blutbad, als er Flugzeugmotoren hörte. Er blickte zum Himmel und entdeckte japanische Zeros, die der Küstenlinie folgten. Die roten Sonnenscheiben auf den Tragflächen jagten ihm Angst und Schrecken ein. Zum letzten Mal hatte er diese Abzeichen während der Schlacht von Midway gesehen.
Die Zeros beschossen mit ihren Bordwaffen den Strand. Marineinfanteristen, die gerade aus den Landungsbooten stiegen, wurden überrascht. Einige warfen sich flach ins seichte Wasser, andere suchten hinter dem Bootsrumpf Deckung, wieder andere rannten in Richtung Dschungel. Ein paar Sekunden lang hörte man nur das Heulen der Flugzeugmotoren. Blut spritzte. Männer brachen zusammen.
Dann waren die Flugzeuge fort, und überall am Strand lagen tote Amerikaner.
Augenblicke später hörte Chuck erneut das Rattern der Bordkanonen, als die Zeros den nächsten Strandabschnitt beschossen.
Die Japaner würden zurückkommen.
Eigentlich sollten amerikanische Piloten Jagdschutz fliegen, aber Chuck sah keine einzige Maschine. Luftunterstützung gab es nie dort, wo man sie wollte, nämlich genau über dem eigenen Kopf.
Als alle Marineinfanteristen, ob tot oder lebendig, an Land waren, brachten die Boote Sanitäter und Krankenträger an den Strand. Dann landeten sie Munition, Trinkwasser, Verpflegung, Medikamente und Verbandszeug an. Auf der Rückfahrt brachten die Boote die Verwundeten zum Schiff.
Da Chuck und Eddie nicht zu den Kampftruppen gehörten, kamen sie mit den Versorgungsgütern an Land.
Die Bootsführer hatten sich mittlerweile an die Dünung gewöhnt und hielten mit ihren Fahrzeugen die Stellung, die Rampen auf dem Sand, die Wellen am Heck, während die Kisten ausgeladen wurden und Chuck und Eddie in die Brandung sprangen, um an den Strand zu waten.
Sie erreichten gemeinsam den Wasserrand.
Kaum waren sie dort, eröffnete ein MG das
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