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Winter der Welt - Die Jahrhundert-Saga Roman

Winter der Welt - Die Jahrhundert-Saga Roman

Titel: Winter der Welt - Die Jahrhundert-Saga Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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Vielleicht sah er keinen Sinn mehr in dem, was er tat.
    Endlich war Carla im Lager. Fragte sich nur, ob sie genauso leicht wieder herauskam.
    Hier war der Gestank noch schlimmer. Es dauerte nicht lange, und Carla sah den Grund dafür: Der Keller war hoffnungslos überfüllt. Hunderte von Menschen waren in vier Lagerräume gepfercht worden. Sie saßen oder lagen auf dem Boden; wer Glück hatte, konnte sich an eine Wand lehnen. Die Leute starrten vor Dreck, stanken und waren zu Tode erschöpft. Mit stumpfen Augen, in denen sich Hoffnungslosigkeit spiegelte, musterten sie Carla.
    Carla entdeckte Hannelore Rothmann bereits nach wenigen Minuten.
    Sie war nie eine schöne Frau gewesen, aber sie hatte etwas Unerschütterliches an sich gehabt, und ihr Gesicht war stark und fest gewesen. Nun war sie wie die meisten anderen ausgemergelt. Ihr Haar war grau und matt, die Wangen hohl und faltig.
    Sie unterhielt sich mit einem Mädchen, das an der Schwelle zur Frau stand. Brüste und Hüften waren bereits gut entwickelt, doch ihr Gesicht war noch das eines Kindes. Das Mädchen saß weinend auf dem Boden. Hannelore kniete neben ihr, hielt ihr die Hand und redete tröstend auf sie ein.
    Als sie Carla sah, stand sie auf. »Du lieber Gott, Carla! Warum bist du hier?«
    »Ich dachte, wenn ich ihnen sage, dass du keine Jüdin bist, lassen sie dich vielleicht gehen.«
    »Das ist sehr mutig von dir, aber du hättest dich nicht in Gefahr bringen sollen.«
    »Dein Mann hat vielen Menschen das Leben gerettet. Da ist es nur recht und billig, wenn jemand jetzt dich rettet.«
    Carla sah, dass Hannelore gerührt war und nahe daran, in Tränen auszubrechen. Dann blinzelte sie, schüttelte den Kopf und zeigte auf das junge Mädchen. »Das ist Rebecca Rosen. Ihre Eltern wurden heute von einer Granate getötet.«
    »Das tut mir leid, Rebecca«, sagte Carla.
    Das Mädchen schwieg.
    »Wie alt bist du?«, fragte Carla.
    »Fast vierzehn.«
    »Du musst jetzt erwachsen sein.«
    »Warum bin ich nicht auch gestorben?«, sagte Rebecca leise und starrte vor sich hin. »Ich war direkt neben ihnen. Ich hätte auch sterben müssen. Jetzt bin ich ganz allein.«
    »Du bist nicht allein«, sagte Carla mit fester Stimme. »Wir sind bei dir.« Sie wandte sich wieder Hannelore zu. »Wer hat hier das Sagen?«
    »Ein Mann namens Walter Dobberke.«
    »Ich werde ihm sagen, dass er euch gehen lassen muss. Wo finde ich ihn?«
    »Er ist schon nach Hause. Sein Stellvertreter ist ein Unterscharführer, ein Dummkopf, mit dem man nicht vernünftig reden kann, aber …«
    Sie verstummte, als eine junge Frau den Raum betrat. Sie war hübsch, mit langem blondem Haar und heller Haut. Niemand sprach mit ihr, niemand beachtete sie, doch ihre Miene war trotzig.
    Hannelore sagte leise: »Das ist Gisela, Dobberkes Geliebte. Oben im EKG -Zimmer schläft sie mit ihm. Dafür bekommt sie Extrarationen. Außer mir will niemand mit ihr reden. Aber ich finde, man sollte Menschen nicht nach den Kompromissen beurteilen, die sie eingehen. Schließlich leben wir alle in der Hölle.«
    Carla war sich da nicht so sicher. Sie jedenfalls würde sich nicht mit einer Frau anfreunden, die mit einem Nazi schlief.
    Gisela sah Hannelore und kam herüber. »Walter hat neue Befehle bekommen«, sagte sie so leise, dass Carla sie kaum verstehen konnte. Dann zögerte sie.
    »Was für Befehle?«, hakte Hannelore nach.
    Gisela senkte die Stimme noch mehr. »Er soll jeden hier erschießen.«
    Carla hatte das Gefühl, als würde eine kalte Hand ihr Herz packen. All diese Menschen, einschließlich Hannelore und der kleinen Rebecca …
    »Aber Walter will das nicht«, fuhr Gisela fort und fügte beschwörend hinzu: »Er ist kein schlechter Mensch!«
    Mit fatalistischer Ruhe fragte Hannelore: »Und wann soll er uns töten?«
    »Sofort. Aber zuerst will er die Akten vernichten. Hans-Peter und Martin werfen gerade alles in den Ofen. Das dauert; deshalb haben wir noch ein paar Stunden. Vielleicht ist die Rote Armee ja rechtzeitig hier, um uns zu retten.«
    »Vielleicht auch nicht«, erwiderte Hannelore. »Kann man Dobberke denn nicht dazu bringen, dass er den Befehl verweigert? Um Himmels willen, der Krieg ist doch fast zu Ende!«
    »Vor einiger Zeit hätte ich ihn noch dazu überreden können«, antwortete Gisela traurig, »aber er wird mich allmählich leid. Du weißt ja, wie Männer sind.«
    »Aber Dobberke muss doch an seine Zukunft denken. Bald werden die Alliierten hier an der Macht sein, und sie werden die Nazis

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