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Winter der Welt - Die Jahrhundert-Saga Roman

Winter der Welt - Die Jahrhundert-Saga Roman

Titel: Winter der Welt - Die Jahrhundert-Saga Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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kam über den Weg gelaufen.
    Carla seufzte. Offenbar hatte sie gerade ein Kind bekommen. Sie fühlte sich zwar noch nicht bereit für die Mutterrolle, aber was sollte sie tun?
    »Dann komm«, sagte sie. »Ich hoffe, du kannst schnell rennen.«
    Sie durchquerten den Krankenhausgarten bis zum Tor. Dort hielten sie kurz an und ließen den Blick in die Runde schweifen. Alles schien ruhig zu sein. Sie überquerten die Straße und liefen bis zur Ecke. Als Carla in die Schulstraße blickte, hörte sie Maschinengewehrfeuer und erkannte, dass ein Stück die Straße hinauf gekämpft wurde. Sie sah deutsche Soldaten, die sich in ihre Richtung zurückzogen, und Rotarmisten, die sie verfolgten.
    Carla schaute sich um. Sie konnten sich nirgends verstecken außer hinter den Bäumen, und die boten kaum Schutz.
    Eine Granate schlug keine fünfzig Meter entfernt mitten auf der Straße ein. Carla spürte die Druckwelle, blieb aber unverletzt. Als eine zweite Grante heranorgelte, rannten die beiden Frauen und das Mädchen zurück auf das Krankenhausgelände. Einige der anderen Gefangenen standen unschlüssig am Stacheldrahtzaun; offenbar wussten sie nicht, was sie tun sollten.
    »Kommt, Leute«, sagte Carla zu ihnen. »Im Keller stinkt es zwar, aber im Moment ist es dort sicherer.« Sie stieg die Treppe hinunter, und die meisten Gefangenen folgten ihr.
    Carla fragte sich, wie lange sie wohl hier unten bleiben mussten. Die Deutschen würden früher oder später aufgeben müssen … nur wann? Irgendwie konnte sie sich nicht vorstellen, dass Hitler kapitulierte, egal unter welchen Umständen. Dieser Mann hatte sich stets als unfehlbar betrachtet, hatte sich als größten Feldhern aller Zeiten feiern lassen. Wie sollte so jemand zugeben, dass er sich geirrt hatte? Dass er grausam, verderbt und böse gewesen war? Dass er Millionen ermordet und dafür gesorgt hatte, dass sein Land zerbombt worden war? Dass er als einer der größten Verbrecher aller Zeiten in die Geschichte eingehen würde? Nein, das konnte ein Adolf Hitler nicht. Eher würde er sich eine Pistole in den Mund stecken und den Abzug drücken.
    Aber wie lange würde das noch dauern? Einen Tag? Eine Woche? Länger?
    Plötzlich war von oben ein Schrei zu hören. »Sie sind hier! Die Russen sind hier!«
    Augenblicke später hörte Carla das Poltern schwerer Stiefel auf den Treppenstufen. Wo hatten die Russen solche Stiefel her? Von den Amerikanern?
    Dann waren sie im Zimmer – vier, sechs, acht, neun Männermit schmutzigen Gesichtern und Maschinenpistolen, bereit zu töten. Sie schienen viel Platz zu beanspruchen. Die Leute schreckten vor ihnen zurück, obwohl sie die Befreier waren.
    Die Rotarmisten schauten sich um und erkannten, dass von den Gefangenen, bei denen es sich vornehmlich um Frauen handelte, keine Gefahr ausging. Sie senkten die Waffen. Ein paar verschwanden in den Nachbarzimmern.
    Einer der Soldaten, ein hünenhafter Mann, krempelte den linken Ärmel hoch. Er trug sieben Armbanduhren. Er brüllte etwas auf Russisch und deutete mit der Maschinenpistole auf die Uhren an seinem Arm. Carla konnte sich denken, was er wollte. Dann schnappte der Mann sich eine ältere Frau und zeigte auf ihren Ehering.
    »Wollt ihr uns jetzt auch noch das bisschen nehmen, was die Nazis uns gelassen haben?«, sagte Hannelore.
    Ja, genau das wollten sie. Der hünenhafte Soldat versuchte, der Frau den Ring vom Finger zu ziehen. Als sie erkannte, worauf er es abgesehen hatte, nahm sie den Ring freiwillig ab und reichte ihn dem Russen.
    Der nahm den Ring, nickte und deutete mit der MP durch den Raum.
    Hannelore trat vor. »Diese Leute sind Gefangene«, sagte sie auf Deutsch. »Sie sind Juden und die Familien von Juden, die von den Nazis verfolgt werden.«
    Ob der Rotarmist sie verstand oder nicht, spielte letztlich keine Rolle; er ignorierte sie einfach und deutete hartnäckig auf die Uhren an seinem Arm.
    Die wenigen Gefangenen, die noch Wertsachen besaßen, gaben sie ab.
    Die Befreiung durch die Rote Armee würde wohl doch nicht das glückliche Ereignis sein, auf das viele Menschen gehofft hatten.
    Aber es sollte noch schlimmer kommen.
    Der hünenhafte Rotarmist deutete auf Rebecca.
    Das Mädchen wich vor ihm zurück und versuchte, sich hinter Carla zu verstecken.
    Ein zweiter Mann, kleiner und mit blondem Haar, packte Rebecca und zog sie weg. Das Mädchen schrie, worauf der kleine Mann grinste, als würde er ihre Angst genießen.
    Carla überkam eine schreckliche Ahnung, die Augenblicke

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