Winter der Welt - Die Jahrhundert-Saga Roman
Verspätung«, sagte sie. »Ich hatte die Zeit ganz vergessen.«
Philip Renshaw musterte Daisy von oben bis unten. »Das ist ein sehr kurzes Kleid«, sagte er dann, wobei in seinem Gesicht Missbilligung mit Lüsternheit kämpfte.
Daisy tat so, als hätte er ihr ein Kompliment gemacht. »Schön, dass es Ihnen gefällt!«
»Wie auch immer, es ist gut, dass du endlich hier bist«, fuhr Renshaw fort. »Ein Fotograf vom Sentinel kommt her, und wir brauchen ein paar hübsche Mädchen auf dem Bild.«
Daisy murmelte Eva zu: »Also deshalb hat er mich eingeladen. Sehr nett von ihm, mir das unter die Nase zu reiben.«
Dot kam zu ihnen. Sie hatte ein schmales Gesicht mit spitzer Nase. Daisy fand, sie sah aus wie ein Vogel.
»Ich dachte, du fährst mit deinem Vater zum Präsidenten«, sagte Dot.
Daisy erstarrte. Hätte sie doch bloß nicht überall damit herumgeprahlt!
»Wie ich höre, hat er an deiner Stelle seine … ähem … Hauptdarstellerin mitgenommen«, fuhr Dot fort. »So was dürfte im Weißen Haus ziemlich ungewöhnlich sein.«
»Ich glaube«, erwiderte Daisy, »hin und wieder lernt der Präsident gern mal einen Filmstar kennen. Er verdient ein bisschen Glanz, meinst du nicht auch?«
»Ich kann mir nicht vorstellen, dass Eleanor Roosevelt begeistert war. In den Zeitungen steht, alle anderen Männer hätten ihre Frauen mitgenommen.«
»Tja, dann … bis nachher.« Daisy ergriff die Flucht, bevor sie der Versuchung erlag, Dot ihren Drink ins Gesicht zu schütten.
Sie entdeckte Charlie Farquharson, der versuchte, ein Netz für Strandtennis aufzuspannen. Er war zu gutmütig, um sie wegen Gladys Angelus zu verspotten.
»Hallo, wie geht’s, Charlie?«, fragte Daisy fröhlich.
»Ganz gut.« Charlie richtete sich auf. Er war um die fünfundzwanzig, sehr groß und ein bisschen übergewichtig. Er hielt sich leicht gebeugt, als befürchtete er, seine Größe könnte auf andere einschüchternd wirken.
Daisy stellte ihm Eva vor. Charlie war in Gesellschaft auf sympathische Art unbeholfen, besonders gegenüber Mädchen, aber er gab sich Mühe und fragte Eva, wie Amerika ihr denn so gefalle und ob sie etwas von ihrer Familie in Berlin gehört habe.
Eva fragte ihn, ob ihm das Picknick gefiele.
»Nicht besonders«, erwiderte Charlie. »Ich wäre lieber zu Hause bei meinen Hunden.«
Mit Tieren kann er besser umgehen als mit Frauen, dachte Daisy säuerlich. Doch dass er Hunde erwähnte, war interessant. »Was für Hunde hast du denn?«, fragte sie.
»Jack-Russell-Terrier.«
Daisy merkte sich den Namen.
Eine kantig gebaute Frau um die fünfzig kam zu ihnen. »Meine Güte, Charlie, hast du das Netz noch immer nicht aufgespannt?«
»Bin fast fertig, Mom.«
Nora Farquharson trug ein goldenes Tennisarmband, Brillantohrstecker und eine Tiffany-Halskette – mehr Schmuck, als für das Picknick angemessen war. So arm scheinen die Farquharsons nun auch wieder nicht zu sein, ging es Daisy durch den Kopf. Sie jammerten, sie hätten alles verloren, aber Daisy wusste, dass Mrs. Farquharson weiterhin ein Hausmädchen und einen Chauffeur beschäftigte; außerdem besaß sie zwei Pferde für Ausritte im Park.
»Guten Tag, Mrs. Farquharson«, sagte Daisy. »Das ist meine Freundin Eva Rothmann aus Berlin.«
»Angenehm«, sagte Nora kühl, ohne Daisy oder Eva die Hand zu reichen. Sie hielt es nicht für nötig, neureiche Russinnen freundlich zu behandeln, und deren jüdische Gäste erst recht nicht. Plötzlich schien ihr ein Gedanke zu kommen. »Ach, Daisy, du könntest mal herumgehen und dich erkundigen, wer Tennis spielen möchte.«
Daisy wusste, dass sie ein wenig wie eine Dienstbotin behandelt wurde, machte aber gute Miene zum bösen Spiel. »Aber gern«, sagte sie. »Ich würde gemischte Doppel vorschlagen.«
»Gute Idee.« Mrs. Farquharson reichte ihr einen Bleistiftstummel und ein Stück Papier. »Schreib die Namen auf.«
Mit einem zuckersüßen Lächeln zog Daisy einen goldenen Füllhalter und ein kleines, in beigefarbenes Leder gebundenes Notizbuch aus der Handtasche. »Ich bin gerüstet.«
Sie wusste, wer Tennis spielte, wer gut war und wer nicht. Schließlich gehörte sie dem Racquet Club an, der allerdings nicht so exklusiv war wie der Yacht Club. Daisy machte sich daran, Spielpaare zu bilden. Eva tat sie mit Chuck Dewar zusammen, dem vierzehnjährigen Sohn von Senator Dewar. Joanne Rouzrokh ließ sie mit dem älteren Dewar-Jungen spielen, Woody, der erst fünfzehn war, aber schon genauso groß wie seine
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