Winter der Welt - Die Jahrhundert-Saga Roman
Daisy stieg Trotz auf. Sie würde sich nicht den Tag verderben lassen. »Na schön, dann bin ich eben das einzige Mädchen in Buffalo, das wegen Gladys Angelus versetzt wurde! Also, was ziehe ich heute an?«
In Paris trug man die Röcke dieses Jahr bedenklich kurz, und die konservative Buffaloer Gesellschaft verfolgte die Mode nur aus der Ferne. Doch Daisy besaß ein gewagtes knielanges Tenniskleid im Babyblau ihrer Augen. Vielleicht war heute die passende Gelegenheit, es zu tragen. Sie stieg aus ihrem Kleid und zog sich den Tennisdress an. »Na, was meint ihr?«
»Oh, Daisy, es ist wunderschön«, sagte Eva, »aber …«
Olga sagte: »Denen fallen die Augen aus dem Kopf.« Sie mochte es, wenn ihre Tochter sich herausputzte. Vielleicht erinnerte es sie an ihre eigene Jugend. »Besonders Charlie Farquharson.«
»Wer ist das?«, fragte Eva.
Daisy antwortete: »Der Mann, den ich vielleicht heiraten werde.«
Eva riss die Augen auf. »Ist das dein Ernst?«
»Er wäre ein guter Fang«, warf Olga ein.
»Wie ist er denn so?«, fragte Eva.
»Sehr niedlich«, antwortete Daisy. »Nicht der hübscheste Junge in Buffalo, aber süß und ziemlich schüchtern.«
»Da scheint er aber ganz anders zu sein als du.«
»Gegensätze ziehen sich an.«
Olga ergriff erneut das Wort. »Die Farquharsons gehören zu den ältesten Familien der Stadt.«
Eva zog die dunklen Brauen hoch. »Snobistisch?«
»Sehr«, sagte Daisy. »Aber Charlies Vater hat sein ganzes Geld am Schwarzen Freitag verloren. Das hat ihn umgebracht. Es wird aber auch gemunkelt, er hätte Selbstmord begangen. Jedenfalls müssen die Farquharsons zusehen, wie sie das Familienvermögen wiederherstellen.«
Eva blickte sie entsetzt an. »Du hoffst, dass er dich deines Geldes wegen heiratet?«
»Falsch. Charlie wird mich heiraten, weil ich ihm den Kopf verdrehen werde. Und heute Nachmittag fange ich damit an. Ja, das ist eindeutig das richtige Kleid.«
Daisy nahm das babyblaue, Eva das marineblau-weiß gestreifte Kleid. Als sie sich angezogen hatten, waren sie zu spät dran. Doch einen Fahrer gab es nicht. Olga wollte keinen. Sie selbst hatte den Chauffeur ihres Vaters geheiratet und sich damit ihr Leben ruiniert. Nun fürchtete sie, Daisy könnte es ähnlich ergehen. Wenn die Peshkov-Frauen in ihrem knarrenden 1925er Stutz gefahren werden wollten, musste Henry, der Gärtner, aus den Gummistiefeln steigen und einen schwarzen Anzug anziehen.
Aber Daisy hatte auch ein eigenes Auto, ein rotes Chevrolet Sportcoupé. Außerdem fuhr sie gern. Sie mochte es, die Kraft des Motors zu spüren, und sie liebte die Geschwindigkeit. Nun verließen sie und Eva die Stadt in südlicher Richtung. Daisy fand es beinahe schade, dass es nur fünf oder sechs Meilen bis zum Strand waren.
Auf der Fahrt malte sie sich das Leben als Charlies Frau aus. Mit ihrem Geld und seinem Ansehen wären sie das Paar in der Buffaloer Gesellschaft. Bei ihren Dinnerpartys würde es so elegante Tischdekorationen geben, dass es den Gästen den Atem verschlug. Natürlich würden sie die größte Jacht im Hafen haben und an Bord rauschende Feste feiern. Die Leute würden sich nach einer Einladung von Mrs. Charles Farquharson die Finger lecken. Daisy malte sich aus, wie sie in einem hinreißenden Kleid aus Paris durch eine Menge bewundernder Männer und neidischer Frauen schritt und mit huldvollem Lächeln die Komplimente entgegennahm.
Sie war noch in ihren Tagtraum versunken, als sie ihr Ziel erreichten.
Buffalo liegt im Staat New York unweit der Grenze zu Kanada. Woodlawn Beach war ein meilenlanger Sandstreifen am Ufer des Eriesees. Daisy stellte das Auto ab und durchquerte mit Eva zu Fuß die Dünen.
Fünfzig oder sechzig Personen waren bereits eingetroffen, die heranwachsenden Nachkommen der Buffaloer High Society, die ihre Sommerferien vorzugsweise mit Segeln und Wasserski verbrachten und abends Partys und Bälle besuchten. Daisy grüßte jeden, den sie kannte und stellte Eva vor. Beide bekamen Punsch. Daisy kostete vorsichtig: Man musste immer damit rechnen, dass irgendein Spaßvogel das Getränk mit zwei Flaschen Gin angereichert hatte und das zum Schießen komisch fand.
Die Party wurde für Dot Renshaw gegeben, ein spitzzüngiges Mädchen, das keinen Mann fand. Wie die Farquharsons waren auch die Renshaws eine alte Buffaloer Familie; ihr Vermögen allerdings hatte den Börsencrash überstanden. Daisy ging als Erstes zum Gastgeber, Dots Vater, und dankte ihm. »Bitte entschuldigen Sie unsere
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