Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Winter der Welt - Die Jahrhundert-Saga Roman

Winter der Welt - Die Jahrhundert-Saga Roman

Titel: Winter der Welt - Die Jahrhundert-Saga Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
Vom Netzwerk:
neugierig, indem sie die Damen wissen ließ, dass sie reich und ungebunden war. Die Weltwirtschaftskrise hatte viele englische Adelsfamilien ruiniert. Eine amerikanische Erbin wäre ihnen selbst dann willkommen gewesen, wenn sie nicht hübsch und charmant gewesen wäre. Man mochte Daisys Akzent, tolerierte, dass sie die Gabel mit der rechten Hand führte, und registrierte mit Erheiterung, dass sie Auto fahren konnte – in England war das Männersache. Viele Engländerinnen ritten genauso gut wie Daisy, aber nur wenige wirkten im Sattel so kess und selbstsicher. Einige ältere Frauen betrachteten Daisy noch immer mit Misstrauen. Na, auch die würde sie am Ende auf ihre Seite ziehen, davon war Daisy überzeugt.
    Mit Bing Westhampton zu flirten war eine ihrer leichtesten Übungen gewesen. Der spitzbübische Mann mit dem gewinnenden Lächeln hatte ein Auge für hübsche Mädchen, aber Daisy wusste instinktiv, dass mehr als nur sein Auge beteiligt wäre, wenn er Gelegenheit zu einer kleinen Fummelei im dunklen Garten bekäme. Seine freizügigen Töchter schlugen ihm offenbar nach.
    Die Hausparty der Westhamptons gehörte zu jenen gesellschaftlichen Anlässen in Cambridgeshire, die in die May Week fielen. Zu den Gästen zählten Earl Fitzherbert, genannt Fitz, und seine Frau Bea, Countess Fitzherbert, die aber ihren russischen Titel einer Fürstin vorzog. Ihr ältester Sohn Boy besuchte das Trinity College.
    Fürstin Bea gehörte zu den Matriarchinnen der Gesellschaft, die Daisy gegenüber Misstrauen an den Tag legten. Ohne wirklich zu lügen, hatte Daisy den Leuten suggeriert, ihr Vater sei ein russischer Adliger, der bei der Revolution alles verloren habe, kein Gießereiarbeiter, der auf der Flucht vor der Polizei nach Amerika gelangt war. Doch Bea hatte sich nicht täuschen lassen. »Ich erinnere mich nicht an irgendwelche Peschkows in St. Petersburg oder Moskau«, hatte sie erklärt und sich dabei kaum Mühe gegeben, Verwirrung vorzutäuschen. Daisy hatte sich zu einem Lächelngezwungen, als wäre es völlig ohne Belang, woran die Fürstin sich erinnerte und woran nicht.
    Daisy und Eva waren mit drei jungen Frauen im gleichen Alter zusammen: den Westhampton-Zwillingen plus May Murray, der Tochter eines Generals. Die Bälle dauerten die ganze Nacht; jeder schlief bis Mittag, doch die Nachmittage waren langweilig. Die fünf jungen Frauen faulenzten im Garten oder schlenderten durch den Wald.
    Nun setzte Daisy sich in ihrer Hängematte auf und fragte: »Und was darf man machen, wenn man verlobt ist?«
    »Du kannst sein Ding reiben«, sagte Lindy.
    »Bis es spritzt«, fügte ihre Schwester hinzu.
    »Das ist ja ekelhaft!«, rief May Murray, die nicht so kühn war wie die Zwillinge.
    Mit ihrer Empörung ermutigte sie die beiden nur. »Oder du kannst daran saugen«, sagte Lindy. »Das mögen die Männer am liebsten.«
    »Aufhören!«, protestierte May. »Das denkt ihr euch doch nur aus!«
    Die Zwillinge ließen das Thema fallen; die arme May hatte genug gelitten. »Mir ist so langweilig«, sagte Lindy. »Was sollen wir nur unternehmen?«
    »Gehen wir in Männerkleidung zum Abendessen!«, schlug Daisy wagemutig vor.
    Im nächsten Moment bereute sie ihren Vorschlag schon wieder. Ein solcher Streich konnte ihren gesellschaftlichen Aufstieg beenden, ehe er begonnen hatte.
    Evas deutscher Sinn für gute Sitten meldete sich. »Aber Daisy! Das ist doch nicht dein Ernst!«
    »Nein«, sagte Daisy. »Nur eine alberne Idee.«
    Die Zwillinge hatten das feine blonde Haar ihrer Mutter geerbt, nicht die dunklen Locken ihres Vaters, aber seine Ader für das Unartige war auf sie übergegangen. Beide waren auf der Stelle begeistert von Daisys Vorschlag. »Die Männer kommen heute Abend alle im Frack, also können wir ihre Smokings stehlen«, sagte Lindy.
    »Genau!«, rief ihre Zwillingsschwester. »Am besten, wenn sie den Tee nehmen.«
    Daisy begriff, dass es für einen Rückzieher jetzt schon zu spät war.
    »Aber wir können doch nicht verkleidet auf die Feier gehen!«, wandte May Murray ein. Die Gesellschaft sollte nach dem Abendessen zum Trinity Ball aufbrechen.
    »Wo liegt das Problem? Ehe wir losfahren, ziehen wir uns wieder um«, beschwichtigte Lizzie sie.
    May war ein zaghaftes Geschöpf, vermutlich von ihrem soldatischen Vater eingeschüchtert; letztlich aber war sie immer mit von der Partie, egal was die anderen Mädchen beschlossen. Eva sprach sich als Einzige gegen den Streich aus, wurde jedoch überstimmt.
    Als es Zeit wurde,

Weitere Kostenlose Bücher