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Winter der Welt - Die Jahrhundert-Saga Roman

Winter der Welt - Die Jahrhundert-Saga Roman

Titel: Winter der Welt - Die Jahrhundert-Saga Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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unsichtbar. Alles, was auf ihren Widerstand hinwies, war ein Banner vor der Kirche, auf dem in großen roten Lettern Die Wahrheit über den Faschismus stand.
    Robert sagte gerade: »Ich freue mich, hier zu sein, und fühlte mich geehrt, dass Sie mich eingeladen haben, zu Ihnen zu sprechen. Es freut mich besonders, mehrere Gäste des Bistro Robert im Publikum zu sehen. Ich muss Sie jedoch warnen, dass die Geschichte, die ich zu erzählen habe, höchst unschön ist, entsetzlich sogar.«
    Er berichtete, wie Jörg und er verhaftet worden waren, nachdem sie sich geweigert hatten, ihr Berliner Restaurant an einen Nazi zu verkaufen. Robert bezeichnete Jörg als seinen Chefkoch und langjährigen Geschäftspartner, ohne ihr sexuelles Verhältnis auch nur anzudeuten. Die hellsichtigeren Zuhörer in der Kirche dachten sich wahrscheinlich ihren Teil.
    Das Publikum wurde sehr still, als Robert erzählte, was in dem Konzentrationslager geschehen war. Lloyd hörte die Zuhörer entsetzt nach Luft schnappen, als Robert berichtete, wie die Braunhemden mit den halb verhungerten Hunden erschienen waren. Mit leiser, aber fester Stimme, die durch den ganzen Saal trug, schilderte Robert, wie Jörg gefoltert worden war. Als er zu Jörgs Tod kam, weinten mehrere Zuhörer.
    Auch Lloyd durchlebte die Grausamkeit und die Qual dieser Augenblicke wieder. Ihn erfasste wilde Wut auf Dummköpfe wie Boy Fitzherbert, deren Vorliebe für Marschlieder und schmucke Uniformen das gleiche Unglück über England zu bringen drohte.
    Robert setzte sich, und Ethel ging ans Rednerpult. Als sie zu sprechen begann, kam Ruby zurück. In ihrem Gesicht stand blanke Wut. »Ich habe dir gesagt, dass das nicht funktioniert!«, zischte sie Lloyd ins Ohr. »Mosley ist abgefahren, aber die Kerle stehen am Bahnhof und schmettern patriotische Lieder.«
    Das war eindeutig ein Verstoß gegen die Abmachung. Boy hatte sein Versprechen gebrochen. So viel zum Wort eines englischen Gentlemans, dachte Lloyd verbittert.
    Ethel erläuterte, inwiefern der Faschismus falsche Lösungen bot, indem er Gruppen wie Juden und Kommunisten pauschal die Verantwortung für komplizierte Probleme wie Arbeitslosigkeit undVerbrechen zuschob. Dann machte sie sich gnadenlos über die Vorstellung vom »Triumph des Willens« lustig und verglich Hitler und Mussolini mit Schulhofrabauken.
    Lloyd lauschte derweil auf Geräusche, die durch die offenen Fenster hereindrangen. Er wusste, dass die Faschisten bei ihrer Rückkehr vom Bahnhof ins Stadtzentrum an dieser Kirche vorbeimussten. Er hörte Autos und Lastwagen, die über die Hills Road rumpelten, gelegentlich untermalt von einer Fahrradklingel oder einem Kinderschrei. Dann glaubte er, aus der Ferne einen Ruf zu hören, der beunruhigend an die Geräusche randalierender Halbstarker in dem Alter erinnerte, in dem sie stolz auf ihre neuen tiefen Stimmen sind. Er spannte sich an, lauschte angestrengt und hörte weitere Rufe.
    Die Faschisten marschierten!
    Ethel hob die Stimme, als das Gebrüll von draußen immer lauter wurde. Sie führte aus, dass alle arbeitenden Menschen sich in Gewerkschaften und in der Labour Party zusammenschließen müssten, um Schritt für Schritt auf demokratische Weise eine gerechtere Gesellschaft zu schaffen, nicht aber durch Aufstand und Gewalt wie im kommunistischen Russland und in Nazi-Deutschland, wo die politische Entwicklung eine katastrophale Richtung eingeschlagen hatte.
    Ruby kam wieder herein. »Sie marschieren jetzt die Hills Road hinauf«, sagte sie drängend. »Wir müssen raus und uns ihnen stellen!«
    »Nein!«, wisperte Lloyd. »Die Partei hat kollektiv entschieden – keine Demonstration. Daran müssen wir uns halten. Wir müssen eine disziplinierte Bewegung bleiben.« Er wusste, dass der Verweis auf die Parteidisziplin bei Ruby verfangen würde.
    Die Faschisten waren nicht mehr weit. Sie sangen aus rauen Kehlen. Lloyd vermutete, dass sie zu fünfzig oder sechzig waren. Er brannte darauf, hinauszugehen und sich ihnen entgegenzustellen. Zwei junge Männer aus der hintersten Reihe standen auf, gingen an die Fenster und schauten hinaus.
    Ethel drängte zur Vorsicht. »Reagiert nicht auf Rowdytum, indem ihr selbst zu Rowdys werdet«, sagte sie. »Das gibt den Zeitungen nur einen Vorwand zu behaupten, die eine Seite sei so schlimm wie die andere.«
    Klirrend platzte eine Glasscheibe, und ein Stein flog durchs Fenster. Eine Frau schrie, und mehrere Zuhörer sprangen auf. »Bitte bleibt sitzen«, sagte Ethel.

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