Winter Im Sommer - Fruehling Im Herbst
bereits fünfzig. Ich wechselte den Ort, den Beruf, und ich trennte mich von meiner Frau. Schon längere Zeit hatte unsere Ehe einem Krisenmanagement geglichen, mal ging es besser, mal schlechter. Die Erwartungen, die jeder an den anderen stellte, waren wohl zu groß. Wir hatten uns als sehr junge Menschen mit sehr idealistischen Vorstellungen zusammengetan, waren mit zwanzig Jahren zum ersten Mal Eltern und mit vierzig Großeltern geworden. Als die großen Kinder aus dem Haus waren, wurde immer deutlicher, dass der Vorrat an Gemeinsamkeiten wie das notwendige Maß an Auseinandersetzungen fehlten. Was symbiotisch begonnen hatte, war nicht in einen Prozess des gemeinsamen Reifens übergegangen.
Im DDR-Alltag war mir trotz Krisen eine Trennung nie in den Sinn gekommen, zumal mir das Gelöbnis eines lebenslangen Bundes als selbstverständliche Verpflichtung erschien. Der Aufbruch im politischen Bereich hat dann aber auch im Privatleben einen Abschied herbeigeführt. So vermischten sich die Glücksgefühle
aus der neuen Hyperaktivität mit der Trauer über das Ende einer nicht gelungenen Ehe und den eingeschränkten Kontakt zu meiner jüngeren Tochter Katharina. Sie war erst zwölf und hat ihrem Vater zunächst sehr übel genommen, dass er die Familie verließ. Ich empfand Schuldgefühle, wollte aber auch nicht zurück. Jetzt musste all das Neue gestaltet werden, kraftvoll und zügig. Rückschau, therapeutisches Verharren, Geduld, all das kam mir vor wie eine Fessel. Ich wollte fort, vorwärts. Der, der immer bleiben wollte, war nun auf seine Weise gegangen, nicht in den Westen, aber in eine andere Welt. Diese andere Welt war so fordernd, brauchte Präsenz und Energie, dass alles Familiäre - wie schon bei der Arbeitsaufnahme in Evershagen - zur Randerscheinung wurde.
Meine Zeit als Sonderbeauftragter begann mit lauter Übergangslösungen. Zunächst war ich in einem Hotel am Alexanderplatz untergebracht, dann ließ ich mir eine möblierte Wohnung vom Bundesvermögensamt zuweisen. Es gab damals jede Menge staatlichen Wohnraum in der DDR, doch ausgerechnet ich erhielt in einem der Plattenbauten in der Leipziger Straße eine Zwei-Raum-Wohnung, die als konspirative Wohnung »Terrasse« von der Stasi genutzt worden war, wo sich, wie sich später herausstellte, im kleinbürgerlich-spießigen Interieur a là DDR Stasi-Offiziere mit ihren IM getroffen hatten: eine mittelbraun glänzende Schrankwand, zwei hellbraune, plüschige Sessel, ein Teppich in beige mit dunkelbraunem Muster, die berühmte Durchreiche von der Kochnische zum Wohnzimmer und eine Hängelampe mit runden Schirmen, wie sie als »Stabwerkkugelleuchten« im Palast der Republik ihre Vollendung gefunden hatten. Ich nahm es als Groteske, fragte auch nicht, was ich mir antat, hier zu »wohnen«. Eigentlich wohnte ich in jenen Jahren gar nicht. Ich war unterwegs.
Die Tage waren bis zum Bersten angefüllt. Noch residierte die »Behörde« weit abgelegen im ehemaligen Komplex des Zentralkomitees in zwei Büroräumen mit Bad, die wir als Sonderausschuss der Volkskammer zugewiesen bekommen hatten. Da saßen
wir zu viert und bildeten quasi die Zentrale der Behörde: Christian Ladwig, ein ehemaliger Bühnenbildner in Berlin, war mein persönlicher Mitarbeiter in der Volkskammer gewesen. Ich kannte ihn als sehr verlässlichen Freund aus der Kirchentagsarbeit; er hat immer sehr offen seinen christlichen Glauben bezeugt und ist seinen Weg mit viel Fantasie gegangen. Der zweite im Bunde war David Gill. Schließlich gehörte noch Elisabeth Ladwig dazu, Christians Frau. Sie erledigte die Büroarbeit. Anfänglich haben wir alle grundlegenden Fragen gemeinsam beraten.
Eine Sonderunterkunft für den Sonderbeauftragten. Die Zwei-Raum-Wohnung im Hochhaustrakt an der Leipziger Straße in Berlin, zugewiesen vom zuständigen Bundesamt, entpuppte sich als die ehemals konspirative Stasi-Wohnung »Terrasse«. Ich stelle mir gerade vor, wie der Führungsoffizier seinen gesprächigen Informanten mit einem Weinbrand belohnte - die Gläser fand ich noch im Wandschrank.
Die vordringliche Frage lautete: Wo soll die Behörde ihren Sitz nehmen? Sollten wir dorthin ziehen, wo die Akten lagen, nach Berlin-Lichtenberg, in die ehemalige Stasi-Zentrale? Ich war der Meinung, dass die Behördenleitung in die Mitte Berlins
gehöre, und fand damit auch Gehör. Nach zwei Monaten erhielten wir ein Eckgebäude in der Behrenstraße gegenüber der Komischen Oper, wenige Gehminuten vom Brandenburger Tor
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