Winter Im Sommer - Fruehling Im Herbst
mir gelungen war, nämlich in der Stasi-Aufarbeitung eine Koalition der Vernunft im Parlament zu schmieden und der Aufklärung einen Dienst zu erweisen.
Letztlich hat die Aktion der Bürgerrechtler der Sache allerdings genutzt, denn sie lenkte die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit auf den Konflikt. Aus diesem Grund haben sie auch einige Abgeordnete aus meiner Fraktion und aus der SPD unterstützt.
Die Diskussion über den Umgang mit den Stasi-Unterlagen war schon in der Volkskammer höchst emotional. Auf ihrer letzten Sitzung am 29. September 1990 entbrannte eine stundenlange, chaotische Debatte, ob und auf welche Weise die Namen jener Volkskammer-Abgeordneten publik gemacht werden sollten, die mit dem Ministerium für Staatssicherheit zusammengearbeitet hatten. Hier tauchten bereits all die Argumente auf, die uns noch Jahre später begegnen sollten. Die einen - hauptsächlich von der CDU - wünschten die Publizität so weit wie möglich zu beschränken, weil sie statt der IM die »Auftraggeber« in den Fokus stellen wollten und fürchteten, es könne eine »Lynchjustiz« begünstigt werden. Die anderen - von der SPD und vom Bündnis 90 - forderten die Volkskammer dagegen auf, ihrer Pflicht zur moralischen Selbstreinigung nachzukommen. Als sich der Prüfungsausschuss, dem ich nicht angehörte, mit Hinweis auf die ihm auferlegte Schweigepflicht weigerte, die Namen vorzulesen, und auch die Volkskammerpräsidentin Sabine Bergmann-Pohl erklärte, sie wolle nicht schuldig werden, wenn ganze Familien ins Unglück gestürzt würden, erzwangen verschiedene Abgeordnete durch einen Sitzstreik vor dem Präsidium eine Unterbrechung der Sitzung. Mein junges Rechtsbewusstsein erlaubte mir nicht, mich daran zu beteiligen.
Schließlich einigte man sich darauf, dass die Namen der fünfzehn am meisten belasteten IM in nicht öffentlicher Sitzung verlesen
würden. Da kursierte die Liste mit allen 56 Namen allerdings schon außerhalb des Sitzungssaales unter den Journalisten. Zwölf der Abgeordneten haben nach dem Verlesen ihres Namens das Recht genutzt, eine persönliche Erklärung abzugeben. Keiner hat die Zusammenarbeit eingestanden oder Worte des Bedauerns geäußert. Entweder stritten sie die Vorwürfe ab oder sahen sich als Opfer. Einige erkärten sogar, die Zusammenarbeit sei notwendig gewesen, etwa um Material oder Medikamente für ein Krankenhaus zu erhalten. Ein Abgeordneter höhnte daraufhin, die Stasi sei wohl eine karitative Organisation gewesen.
Unter denen, die vehement beklagten, dass ihnen ein Unrecht geschehe, war auch ein Bekannter und guter Vertrauter von mir, Dr. Bernhard Opitz, damals Chefarzt am Evangelischen Krankenhaus in Wittenberg. Später stellte sich heraus, dass er tatsächlich zu Unrecht als IM bezeichnet worden war. Der zuständige Volkskammerausschuss hatte sich bei seiner Arbeit an den Karteikarten des MfS orientiert und nicht die Zeit gehabt, für jeden Einzelnen die dazugehörigen Akten zu suchen. Hätte man die Akten über Bernhard Opitz eingesehen, wäre offenbar geworden, dass dieser als junger Doktor in die Klemme geraten war und nach langem Hin und Her seine Bereitschaft zur Zusammenarbeit mit einer Unterschrift bekräftigt hatte. Einen Tag später allerdings hatte er diese Unterschrift schon wieder schriftlich zurückgenommen und dies ausführlich damit begründet, dass er als Arzt und als Christ diese Verpflichtung nicht einhalten könne. Seinen Nachkommen hat er mit diesem Brief ein schönes Beispiel für Zivilcourage hinterlassen. Opitz hat nicht ein einziges Mal für die Stasi gearbeitet, ist aber von da an sein ganzes Leben lang drangsaliert und überwacht worden.
Die Existenz einer Karteikarte allein sagt eben nur begrenzt etwas über die Art der Zusammenarbeit aus. Die sogenannte Vorgangskartei enthält beispielsweise Entwicklungsschritte des IM, Umregistrierungen, die erfolgt sind, wenn jemand von einem einfachen zu einem anspruchsvolleren IM aufstieg, sie vermerkt auch, wie lange Informationen geflossen sind, und hält fest, wann
der Vorgang abgeschlossen und die Akte archiviert worden ist. Aber über die Menge und den Charakter der Informationen gibt sie keine Auskunft. Deswegen bin ich schon in meiner Zeit als Abgeordneter sehr stark für eine differenzierte Bewertung der IM-Vorgänge eingetreten. Bei Fällen, in denen die Akten vernichtet worden sind und keine Zusatzinformationen aus anderen Akten existierten, bin ich nach dem alten Grundsatz in dubio pro reo immer sehr
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