Winter Im Sommer - Fruehling Im Herbst
entfernt. Die Öffentlichkeit kennt es vielleicht, weil hier Anfang 1992 zum ersten Mal die Anträge zur Akteneinsicht ausgegeben wurden. Später zogen wir in ein riesiges Gebäude gleich um die Ecke in der Glinkastraße, das vor 1989 vom Innenministerium der DDR und bis Ende des Zweiten Weltkriegs von der Deutschen Bank genutzt worden war. In der ehemaligen Stasi-Zentrale in der Normannenstraße blieben nur das Archiv und die Techniker, die alles am Laufen hielten - Angestellte der Stasi, die vom Staatlichen Komitee zur Stasi-Auflösung übernommen worden waren.
In der Behrenstraße in Berlin-Mitte fand die Bundesbehörde für die Stasi-Unterlagen ihre erste zentrale Dienststelle. Ich hatte Rückenwind und fühlte mich im Aufbruch. Der Fotograf sah auch: Es lag eine Last auf mir.
Damit hing die nächste grundlegende Frage zusammen: Sollen wir mit dem alten Personal weitermachen? Ich erhielt ein Schreiben, in dem mir ein ehemaliger Stasi-General aus eben jenem Staatlichen Komitee mitteilte, wie viele Mitarbeiter übernommen werden müssten, damit die weitere Arbeit überhaupt funktionieren könne. Wir aber waren uns einig, dass wir, wenn überhaupt, nur begrenzt auf dieses Personal zurückgreifen wollten. Auf einige konnte man aufgrund ihrer Spezialkenntnisse nicht verzichten, andere hatten sich in der Übergangszeit nicht arrogant und gehässig, sondern kooperativ und freundlich gegen die Bürgerrechtler verhalten. Ich bat also meine Vertrauenspersonen in Berlin und in den Bezirken, mir die Namen derjenigen zu nennen, die für eine Übernahme in Frage kämen, und zwar Archivfachleute und Techniker. Diese Bitte sollte später wiederholt Gegenstand heftiger Polemiken werden.
Ich konnte als Sonderbeauftragter nur die politischen Vorgaben für die aufzubauende Behörde nennen; den konkreten Aufbau mussten andere in die Hand nehmen. Ich konnte mir weder vorstellen, wie viele Räume gebraucht würden, noch wie viele Mitarbeiter welcher Qualifikation erforderlich wären, ganz zu schweigen davon, in welche Gehaltsstufen sie einzuordnen wären. Dankbar nahm ich das Angebot des nnenministeriums an, einen Aufbaustab unter Leitung von Rainer Frank zu schicken, der das Grundgerüst für Struktur, Personal, Immobilien und Sachmittel der Behörde erstellen sollte.
Es war klar, dass ich als Nicht-Jurist einen Fachmann mit Verwaltungserfahrung und juristischen Kenntnissen an meiner Seite brauchen würde, einen Chefbeamten, vergleichbar einem Staatssekretär in einem Ministerium. Ich wünschte mir einen Mitarbeiter, der meinen politischen Absichten nicht im Wege ste-hen
und loyal mit mir zusammenarbeiten würde, eine Person meines Vertrauens, deren Wahl ich nicht dem Aufbaustab überlassen wollte. Also fragte ich Hans-Jürgen Garstka, jenen außerordentlich begabten und versierten sozialdemokratischen Juristen, den wir in der Zeit der Volkskammer als Berater hinzugezogen hatten: »Kennen Sie jemanden, der mit mir zusammen die Leitung übernehmen könnte?« Er verwies mich auf Hansjörg Geiger, Jahrgang 1942. Der promovierte Jurist hatte nach dem Staatsexamen bei Siemens die inzwischen für jeden bundesdeutschen Juristen unentbehrliche elektronische Suchdatei »Juris« entwickelt, war als Staatsanwalt und Richter sowie im Bayerischen Justizministerium tätig gewesen und hatte dann den Posten eines Referatsleiters beim Bayerischen Landesbeauftragten für den Datenschutz übernommen. Ich hatte noch nie von ihm gehört. Mein Anruf, zwei, drei Tage nach der Wiedervereinigung, erreichte ihn in Paris, wo er nach einer Datenschutzkonferenz gerade ein paar Tage Urlaub machte.
Mit Direktor Hansjörg Geiger. Es war ein Glück, mit ihm in den Jahren 1990 bis 1995 einen Stellvertreter zu haben, der meinen politischen Absichten ein juristisches Fundament geben konnte. Wo dieser kompetente und engagierte Bayer agierte, war eine juristische Niederlage nicht zu befürchten.
In Bonn spürte ich Befremden, weil ich Geiger einstellen
wollte. Man hielt mich dort für wenig berechenbar, eigensinnig - eben ein Abgeordneter aus dem Bündnis 90 (obwohl ich versuchte, dem grünen, gern etwas anarchischen und selbstgestrickten Stil nicht zu entsprechen). Man befürchtete wohl Schlimmes, beruhigte sich jedoch schnell. Erstens handelte es sich bei Geiger um einen Beamten aus Bayern, und bayerische Beamte gelten in Deutschland als gut qualifiziert und fleißig. Zweitens machte Geiger einen hervorragenden Eindruck, als er sich im Innenministerium
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