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Winter Im Sommer - Fruehling Im Herbst

Winter Im Sommer - Fruehling Im Herbst

Titel: Winter Im Sommer - Fruehling Im Herbst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joachim Gauck
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UB.
    Die Politik des »Schlussstriches« hat in Polen die einst scharfe Trennlinie zwischen Altem und Neuem, zwischen »denen« und »uns« verwischt und die Anstandsgrenze verschoben. Was als christliche Versöhnungsbereitschaft daherkam, war nicht selten entweder eine kollektive Ent-schuldung der einst Herrschenden, die über das hinausging, was aufgrund der machtpolitischen Konstellation nach dem Runden Tisch erforderlich gewesen wäre, oder es diente als Schutzschild für jene in Volk und Opposition, die sich auf eine Zusammenarbeit eingelassen hatten.
    Die Sorge um die Reputation der heldenhaften Widerstandsbewegung hat die Aufklärung in Polen stark gelähmt. Ich habe das immer für töricht gehalten. Menschen sind verführbar und erpressbar - auch Oppositionelle, wenn auch sicherlich viel weniger. Aber Angst macht große Augen. Der Fall Lech Wałęsa zeigte es exemplarisch: Ein junger, aktiver, eigensinniger Werktätiger hat in einer entscheidenden Situation nicht nein sagen können und später, als er große Erfolge im Widerstand gegen die Kommunisten
errang und zum wichtigsten Mann im Staat wurde, nicht die Kraft und Größe aufbringen können, seinen Landsleuten zu bekennen: Es gibt einen dunklen Punkt in meiner Vergangenheit. Dabei wäre die Öffentlichkeit angesichts seiner historischen Verdienste mit Sicherheit generös gewesen. Es gibt eben einen Zauber, der der Wahrheit und der kritischen Selbstreflexion innewohnt und der wie ein reinigendes Gewitter wirkt. So aber wurde Wałęsa zu dem, was man gemeinhin als kontroverse Persönlichkeit bezeichnet.
    Ich bin häufig nach Polen eingeladen worden, zu Ausschusssitzungen in den Sejm, zu großen europäischen Konferenzen, ich habe allen wichtigen polnischen Medien Interviews gegeben, habe Vorträge in der Aula Leopoldina der Breslauer Universität und in der Krakauer Universität gehalten. Dem früheren Oppositionellen und späteren Senatsvorsitzenden Bogdan Borusewicz habe ich sogar Akten aus den Stasi-Unterlagen übergeben können - ein IM aus der DDR hatte ihn jahrelang in Danzig observiert. Von Teilen der polnischen Öffentlichkeit wurde ich immer voller Freude und mit großer Erwartung empfangen - ähnlich war es übrigens in Rumänien und Bulgarien, wo die wenigen, die eine Aufarbeitung befürworteten, unsere Lösung geradezu überschwänglich priesen -, andere waren deutlich distanziert, darunter auch einige, von denen ich eigentlich Unterstützung erwartet hätte, etwa Adam Michnik mit seiner Zeitung Gazeta Wyborcza . Hier spürte ich deutliche Reserven. Sie fanden unser Vorgehen »überpreußisch«, vielleicht auch ein wenig inquisitorisch.
    Inzwischen hat Polen mit dem Institut des Nationalen Gedächtnisses eine Lösung geschaffen, die unserer sehr ähnlich ist. Der aufarbeitenden Behörde wurden sogar staatsanwaltschaftliche Aufgaben übertragen, was mir fast als Überforderung erscheint. Ich bin jedenfalls froh, dass unsere deutsche Behörde solche Kompetenzen nicht besitzt.
    Gerade im linksliberalen deutschen Milieu wurde die Lösung, für die sich Südafrika mit der Errichtung einer Wahrheitsund
Versöhnungskommission entschieden hat, oft als vorbildlich gepriesen. Im eigenen Land war sie dagegen keineswegs unumstritten. Davon konnte ich mich bei einem Besuch im Januar 1997 überzeugen.
    Die Südafrikaner hatten von völlig anderen Voraussetzungen auszugehen als die Ostdeutschen. Wir zogen zwar fast zur selben Zeit auf die Straße wie die Schwarzen in Südafrika, doch unsere Revolution verlief friedlich, während in Kapstadt im September 1989 zwanzig Schwarze erschossen wurden. Wir konnten einen Elitenwechsel durchführen und Verantwortliche strafrechtlich und politisch zur Rechenschaft ziehen. In Südafrika, davon war Desmond Tutu überzeugt, hätte die Bedrohung der alten Amtsinhaber den friedlichen Wechsel hingegen sabotiert. Mit einer Lösung wie in Deutschland, meinte Tutu - und seine folgenden Worte werde ich nie vergessen -, »we would have a burning land«. Ähnlich wie es in Spanien am Ende des Franco-Regimes eine Verabredung zur Nicht-Strafverfolgung gegeben hat, gestand Südafrika den Tätern Straffreiheit zu, wenn sie sich in einem öffentlichen Verfahren zu ihrer Schuld bekannten. Das war im Kern die Intention der »Wahrheitsund Versöhnungskommission«.
    Ich habe während meines Besuchs an einer der Anhörungen teilnehmen können, zu denen neben den Tätern auch die Angehörigen der Opfer geladen wurden. Es hatte etwas

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