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Winter Im Sommer - Fruehling Im Herbst

Winter Im Sommer - Fruehling Im Herbst

Titel: Winter Im Sommer - Fruehling Im Herbst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joachim Gauck
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Ergreifendes, als dort eine alte Frau aus einem Township auftrat, deren zwölfjähriger Sohn bei einem Einsatz der Polizei in der Schule erschossen worden war. Leute, die ein Nichts gewesen seien, so erklärte Tutu mir damals, die als letzter Dreck gegolten hätten, würden jetzt im ganzen Land gehört - allein das sei schon eine Art der Wiedergutmachung. Manchmal kam es vor Kameras und Mikrofonen tatsächlich zu sehr ergreifenden Bitten um Vergebung.
    Die Zeugenschaft einer erweiterten Öffentlichkeit bei einem Geständnis und - vielleicht - einer nachfolgenden Versöhnung sollte eine heilende Wirkung auf die Gesellschaft haben und hat im Idealfall auch so gewirkt. Dennoch hat die Arbeit der Wahrheitsund Versöhnungskommission nicht wenige Angehörige der
Opfer verbittert. So konnte beispielsweise ein Leutnant, der gefoltert oder getötet hatte, nach seinem Geständnis als freier Mann in seine Villa zurückkehren, unter Umständen sogar weiter als Oberst der Polizei tätig sein, während die Mutter eines getöteten Studenten bettelarm oder mit einer geringen Summe entschädigt in ihr Dorf zurückzog. Das Verfahren begünstigte deutlich die Täter, während die Angehörigen der Opfer oft traumatisiert zurückblieben und keine Gerechtigkeit erfuhren.

    Auf Initiative der »Süddeutschen Zeitung« besuchte ich im Januar 1997 Bischof Desmond Tutu und lernte die Arbeit der Wahrheitsund Versöhnungskommission in Südafrika kennen. In seinem Land hatte es einen verhandelten Machtwechsel gegeben, und ich sah: Andere Bedingungen erfordern andere Lösungen.

    Im Fall von Winnie Mandela zeigte sich, dass die Wahrheitsund Versöhnungskommission im Grunde völlig ohnmächtig war, wenn die Belasteten zu keinem Schuldgeständnis bereit waren. Mandela stritt die ihr zur Last gelegten schweren Menschenrechtsverletzungen rundweg ab. Als Bischof Tutu sie vor laufender Kamera beinahe flehentlich bat, wenigstens einzugestehen, dass die Dinge »furchtbar schiefgelaufen« seien, wiederholte sie nach kurzem Zögern lächelnd genau diese Worte: »Die Dinge sind furchtbar schiefgelaufen.« Es glich einer Verhöhnung.
    Die Kommission hatte sich nahezu Unmögliches zum Ziel gesetzt, als sie einer staatlichen Institution die Aufgabe der Versöhnung übertrug. Selbstkritisch gestand mir Professor Charles Villa-Vicencio, einer der geistigen Urheber der Kommission, in einem Gespräch: Realistischer wäre es gewesen, eine friedliche Koexistenz anzustreben.Versöhnung könne nur erfolgen zwischen Täter und Opfer. Und Vergebung könne ein Täter nur von dem erhalten, dem er Unrecht angetan hat, oder von Gott.
    In Deutschland gab es von Anfang an massive Bedenken gegen eine Versöhnung durch Offenlegung der Wahrheit.Viele empfanden die Anschuldigungen gegen die Stasi und ihre Zuträger nicht als notwendigen Schritt zu einer - und sei es partiellen - Gerechtigkeit und zur Aneignung der ausspionierten Biographien, sondern als Bedrohung des inneren Friedens. Auf Gerechtigkeit drängende Opfer galten nicht selten als rachsüchtig. Die erstaunliche Tatsache, dass es keinerlei Selbstjustiz gegeben hat, wurde nur unzureichend gewürdigt, und den Opfern hat man das Recht auf Darstellung ihrer Leiden zuweilen nur widerstrebend zugestanden. Oft wurde ich gefragt, ob das Wissen aus den Akten die Vergebung nicht behindere. Darauf habe ich stets entgegnet: »Vergeben kann ich nur, was ich weiß.«
    Tatsächlich war Vergebung in der Regel nur möglich, wenn der Täter sich nicht oberflächlich und taktisch, sondern rückhaltlos und ehrlich zur Wahrheit bekannte. Auch wenn Böses und Belastendes zur Sprache kam, konnten Opfer verzeihen, wenn sie tatsächliches Bedauern, wirkliche Reue spürten. Dazu ein kleines
Beispiel: Anfang 1992 besuchte mich ein Freund, den ich seit zwanzig Jahren aus der Kirchenszene kannte. Er war aus dem Norden angereist, hatte sich nicht von der Sekretärin abweisen lassen und war bis in mein Dienstzimmer vorgedrungen. Nun stand er vor mir und sagte: »Jochen, ich weiß, du kennst mich aus deiner Akte.« Ich aber hatte nichts über ihn in meiner Akte gelesen.
    Es handelte sich um jenen Mann aus meiner Jungen Gemeinde, der sich in der Uniform des Marinesoldaten hatte taufen lassen und beim Militär jeden Sonntag Ausgang zum Gottesdienst beantragt hatte. Er was als Jugendlicher von der Stasi angeworben worden, hatte einige Zeit berichtet, sich dann aber allmählich, je mehr er sich im Glauben verwurzelte, gelöst und schließlich seine

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