Winter Im Sommer - Fruehling Im Herbst
und Öffentlichkeit würdigten, dass ich keine parteipolitischen Präferenzen hegte und keine unlauteren Absichten verfolgte. Bis heute erlebe ich, dass Menschen in fremden Städten auf mich zukommen und sich bedanken. Für Hunderttausende von DDR-Bürgern wurde die Behörde zu einer Institution, die - wenn oft auch erst nach langem Warten - Klarheit in Ungeklärtes brachte, was einen neuen Blick auf die eigene Biographie ermöglichte.
Fundamentaloppositionelle Bürgerrechtler wie Jürgen Fuchs sahen hingegen einen Widerspruch darin, dass die Behörde den hohen moralischen Anspruch vertrat, den Opfern zu ihrem Recht zu verhelfen, die Fälle aber rein formal nach neutralen verwaltungstechnischen Kriterien abarbeitete. Freilich kann eine so große Behörde wie die unsere eine Bürokratie entwickeln, die nicht gewollt ist; wer den Spuren von Kafkas Entfremdungsphänomenen nachgeht, wird gerade in großen Verwaltungen immer Stoff finden. Dennoch versteht sich unsere Behörde, die der politischen Aufklärung dient, zuallererst als Dienstleistungsagentur für alle, die Zugangsrechte haben. Wir waren und sind nicht der Kern einer moralisch besonders legitimierten Gruppe von Gutmenschen, die oberste Entscheidungsbefugnis besitzt.
Mochte es in der revolutionären Phase, als die Stasi-Dienststellen besetzt wurden, noch angehen, wenn dem Dichter Reiner Kunze seine Akte »auf kurzem Weg« von einem Bürgerrechtler in die Hand gedrückt wurde. Im Rechtsstaat kann der Bürger nur
auf rechtlichem Wege an seine Akte gelangen: Er muss einen Antrag stellen, dann werden die Unterlagen für ihn vorbereitet, das heißt geschwärzt an den Stellen, wo die Rechte unbelasteter Dritter betroffen sind. Das alles hat Ordnung und Struktur. Darin einen Zugewinn an Humanität zu erkennen, ist auch uns erst allmählich gelungen.
In unserer Behörde wird darauf geachtet, dass das Personal sensibel auf die Anliegen der Bürger eingeht. Es gibt auch eine Bürgersprechstunde, in der Betroffene Raum zum Gespräch finden. Therapeutische Betreuung kann und soll dort nicht angeboten werden, aber die traumatisierten Opfer werden informiert über fachlich ausgewiesene Beratungsstellen und Therapeuten.
Am Ende war eine Behörde entstanden, die zwar an verwaltungsrechtliche Normen gebunden war, den Interessen der Opfer aber dennoch in herausragender Weise diente. Dies war auch ein Verdienst ihres ersten Direktors, Hansjörg Geiger. Er war der juristischer Mentor für unsere Juristen ebenso wie für die vielen Neueinsteiger und ganz besonders für mich. In Parlament und Regierung erwarb er sich so viel Vertrauen, dass er nach 1995 von zwei unterschiedlichen Regierungen mit besonders heiklen und gewichtigen Aufgaben betraut wurde - zunächst als Chef des Bundesamtes für Verfassungsschutz, dann als Präsident des Bundesnachrichtendienstes und schließlich als Staatssekretär des Justizministeriums. Als diese Führungspersönlichkeit, die sich im besten Sinne des Wortes als ein Diener des Gemeinwesens erwiesen hatte, die Behörde verließ, war das ein herber Verlust.
Ich war sehr besorgt und atmete auf, als mit Peter Busse ein Nachfolger gefunden war. Busse kam aus dem Innenministerium, hatte das Ministerbüro des liberalen Innenministers Gerhard Baum geleitet und stieß nun zum Abschluss seiner Laufbahn zu uns. Im BMI war er unter anderem für das Ausländerrecht und den Sport zuständig gewesen. Das war von unseren Themen weit entfernt, doch kaum hatte er sich eingearbeitet, zeigte er seine Fähigkeit der Personalführung in einer großen und weit verzweigten
Behörde. Sein Stil, behutsam, mit Verständnis und Unterstützung auf die Mitarbeiter zuzugehen, hat ihm speziell auch die Anerkennung unserer ostdeutschen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter eingebracht. Zur Rückschau auf diese Zeit gehört meine Erkenntnis: Was wäre ich ohne meine Direktoren gewesen?
Insgesamt erfüllt es mich mit tiefer Genugtuung, dass wir ein Spezialgesetz geschaffen haben, das zur Delegitimierung der vergangenen Diktatur beigetragen hat. Ähnliches hatten die Alliierten nach dem Zweiten Weltkrieg im Sinn, als sie in Nürnberg ein spezielles Tribunal errichteten, vor dem »Verbrechen gegen den Frieden und gegen die Menschlichkeit« verhandelt wurden. Der Europäische Gerichtshof in Straßburg bestätigte 2001, dass es legitim sei, wenn ein Rechtsstaat Straftaten verfolgt, die unter einem früheren Regime begangen wurden. In dieselbe Richtung gehen die Bemühungen zur Etablierung
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