Winter Im Sommer - Fruehling Im Herbst
oder Journalisten gesagt: »Ihr Antrag wird abgelehnt, da die Formulierung im Gesetz, auf die sich Ihr Antrag stützt, ungültig ist.« Nach Ansicht der Gerichte, die Kohls Rechtsvertretern folgten, sollte es sich bei dem Paragraphen, nach dem bereits jahrelang verfahren worden war, um eine Leerformel gehandelt haben - eigentümlicherweise hatten dies weder die wissenschaftlichen Kommentatoren noch die Abgeordneten und auch nicht die Juristen unserer Behörde bemerkt.
Nutznießer der Kohl-Entscheidung wäre nicht nur der Kläger selbst gewesen. Vor allem die SED-Führungskader und Systemträger hätten aufatmen können, denn auch sie sind Personen der Zeitgeschichte. Nur wenn sie Mitarbeiter, Auftraggeber oder Begünstigte der Stasi gewesen wären, hätten Forschung und Medien Zugang zu ihren Akten erhalten können (in diese Kategorien fielen Führungskräfte in der Regel aber nicht). In allen anderen Fällen hätten sie persönlich ihre Zustimmung zur Veröffentlichung geben müssen und damit die Einsicht stark einschränken oder unmöglich machen können. Ob Helmut Kohl das gewollt hat?
Der Gesetzgeber hat das Gesetz dann im September 2002 präzisiert - im Sinne der von der Behörde vertretenen Interpretation. Nun müssen die Betroffenen davon in Kenntnis gesetzt werden, dass ihre Unterlagen angefordert sind. Sie können zwar Einwände erheben, aber die Entscheidung über die Herausgabe obliegt letztlich der Bundesbeauftragten - nach Abwägung der Grundrechte auf Freiheit der Wissenschaft, des Rechts auf freie Meinungsäußerung und des Persönlichkeitsrechtes. Eine Zustimmung des Betroffenen muss nicht eingeholt werden.
Der im Rückblick nicht besonders ergiebige Rechtsstreit ist schon wieder Geschichte. Helmut Kohl hat erreicht, dass etwas
mehr Rechtssicherheit hergestellt wurde: Auch seine Akten können unter bestimmten Bedingungen herausgegeben werden. Der Rechtsstreit erinnerte mich an das große Unbehagen, das die Aktenöffnung bei Helmut Kohl hervorgerufen hatte. Mir kamen wieder die merkwürdigen Einlassungen in den Sinn, die er Jahre zuvor vor der verdienstvollen Enquête-Kommission zur Aufarbeitung der SED-Diktatur im Deutschen Bundestag gemacht hatte. Wenn es nach ihm gegangen wäre, hatte er bedeutungsvoll gesagt, hätte das ganze Zeug vernichtet werden können. Man muss sich das einmal vorstellen: Der Bürger, der Regierungschef, der Historiker Kohl hielt diesen so unendlich aussagekräftigen Dokumentenbestand, dieses facettenreiche Monument der zweiten Diktatur in Deutschland für verzichtbar! Es war mit den Händen zu greifen, dass die DDR nicht seine Lebenswelt, nicht seine Diktatur gewesen war. Nach einer solchen Wortmeldung wird man wieder zum Ossi.
Bald nach seinem Auftritt vor der Enquête-Kommission hat Helmut Kohl mich erstmals ins Bonner Kanzleramt eingeladen. Er war freundlich, ich hoch erfreut; ich schätzte ihn trotz allem sehr wegen seiner Haltung 1989/90. Er trug die Strickjacke, die schon so viele Besucher vor mir beeindruckt hatte. Er sprach über sich, ich sprach über mich, es dauerte länger als geplant. Er wollte mir offensichtlich ein Friedenssignal geben. Ich war beruhigt.
So hatte jeder mit der Aufarbeitung seine eigenen Schwierigkeiten: Auf der einen Seite gab es den ideologischen Widerstand einer unaufgeklärten Linken, vertreten durch unterschiedliche Gruppen in Ost und West, auf der anderen Seite die kulturelle Distanz der Konservativen, denen die Intensität einer substantiellen Auseinandersetzung über vergangenes Unrecht zum Teil fremd und unheimlich vorkam.
Letztlich aber fanden sich für die Linie der maßvollen Bestrafung und des Elitenwechsels, wie wir sie in der Behörde vertraten, genügend Unterstützer quer durch alle Fraktionen: sozialdemokratische Juristinnen wie Jutta Limbach und Lore Peschel-Gutzeit, liberale Rechtshüter wie der Abgeordnete Burkhart Hirsch, die
CDU-Fraktion und die Grünen. Seit meiner Zeit als Abgeordneter habe ich die Schaffung dieser Koalition der Vernunft gesucht und gefördert.
Um der Wahrheit die Ehre zu geben: Ich habe unter den Auseinandersetzungen mit den ewig Gestrigen nicht gelitten, sondern mit Lust und Freude für die Aufklärung gestritten. Im Übrigen führte jede der Schlussstrich-Debatten zu einem eklatanten Anstieg der Anträge auf persönliche Akteneinsicht. Von den Medien und aus dem parlamentarischen Raum erhielt ich ein außergewöhnliches Maß an Zuspruch, Unterstützung und schließlich auch an Ehrungen. Politik
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