Winter Im Sommer - Fruehling Im Herbst
werden drohte. Meist vertraten Kritiker
wie Heino Falcke aus Erfurt und angepasste Theologen wie Hanfried Müller aus Berlin (IM Hans Meier) aber sehr unterschiedliche Positionen, und die kritischen Theologen setzten sich deutlich von jener Minderheit »fortschrittlicher« Pastoren und Universitätstheologen ab, die in Arbeitskreisen oder der Ost-CDU auf eine Zusammenarbeit mit der DDR-Führung ausgerichtet waren.
Wir wollten nicht angepasst, sondern »modern« sein und angemessene Antworten auf die Probleme der Zeit finden. Unser aller Fantasie war aber offensichtlich begrenzt. Prinzipiell glaubten wir zwar an einen Wandel des Systems, aber konkret? Mehr als ein Sechstel der Menschheit lebte in einem sozialistischen System und befand sich auf dem »Weg zum Kommunismus«. Wir konnten uns nicht mehr vorstellen, dass das alles kippen würde. Wir überlegten nur noch, wie die Zukunft in diesem Sechstel der Erde aussehen würde, wenn sie nicht kapitalistisch wäre. Könnte es nicht doch sein, dass der Sozialismus zu humanisieren sei, so wie es in der Tschechoslowakei 1968 versucht worden war? Könnte es nicht doch Genossen geben, die an einen wirklich befreienden Sozialismus glaubten und nicht nur an einen repressiven demokratischen Zentralismus? Könnte es nicht mehr Gorbatschows geben und weniger Mielkes?
In welche Richtung wir auch immer dachten, eines verband Edellinke, Konservative und Traditionalisten in der Kirche: Mit der SED verbünden wir uns nicht. Es gehörte zum normalen Geschäft, anstehende Probleme mit den Organen des Staates von der kommunalen Ebene bis zur Regierung hinauf zu besprechen. Der Staatssozialismus hatte mit den Referenten für Kirchenfragen bei den Räten der Kreise und der Bezirke eine eigene Instanz dafür geschaffen. Da die eigentliche Macht jedoch nicht bei den Staatsorganen lag, sondern bei der Partei, war es gelegentlich bei schwierigen Problemen erforderlich, dass ein leitender kirchlicher Amtsträger auch mit einem Parteikader oder sogar mit einem Ersten Sekretär der Kreis-beziehungsweise Bezirksleitung sprach.
Derartige Kontakte zur Partei waren in Kirchenkreisen umstritten;
meine Landeskirche versuchte sie zu vermeiden. Ich selber habe allerdings bei der Vorbereitung von Kirchentagen erlebt, wie manche Entscheidung erst fiel, nachdem es zu Gesprächen mit einem Verantwortlichen der Partei gekommen war.
Völlig unstrittig hingegen war, dass die Stasi kein Verhandlungspartner war. Es konnte zwar vorkommen, dass einzelne Amtsträger offiziell Kontakte aufnahmen, um sich in konkreten Fällen zu beschweren. So hat mich mein Pastorenkollege Christoph Kleemann einmal zur Stasi-Behörde in der August-Bebel-Straße mitgenommen, als er sich für Studenten verwenden wollte, die im Stasi-Gefängnis saßen. Aber eine dauerhafte, konspirative Verhandlungsebene war kirchenoffiziell nicht akzeptiert. Wie wir heute wissen, haben sich viele kirchliche Mitarbeiter nicht an diese Regel gehalten - aus ganz unterschiedlichen Gründen.
Wir haben mit der Staatssicherheit nicht zu kooperieren, diese Einstellung hat Heinrich Rathke in Mecklenburg konsequent vertreten. Von Anfang an hat er jeden Stasi-Kontakt verweigert. Wenige Monate vor seiner Amtseinführung als Bischof hatte der MfS-Offizier Klaus Roßberg ihn aufgesucht. Roßberg war ein für die Kirche zuständiger Mitarbeiter der Hauptabteilung XX/4 und Führungsoffizier von Manfred Stolpe. Er war eigens aus Berlin angereist, zeigte an der Wohnungstür freundlich seinen Ausweis, bat um ein Gespräch und offerierte ein Entgegenkommen des Staates, wenn Rathke seinerseits zum Entgegenkommen bereit wäre.
»Herr Bischof, wir wissen um die Probleme, die Sie mit einem Pastor hatten, der sich unter dubiosen Umständen in den Westen abgesetzt hat. Wir könnten der Kirche Unbill bereiten und das Ganze in den Medien an die große Glocke hängen; wir können aber auch den Mantel des Schweigens darüber ausbreiten, wenn …«
Rathke entgegnete darauf mit eiserner Miene: »Vielen Dank, wir brauchen keine Hilfe von Seiten der Stasi. Wir können unsere Probleme mit Bordmitteln regeln.«
Von einer Sekunde zur anderen wechselte Roßberg von der
Taktik der Verführung zur Taktik der Erpressung: »Sind wir richtig informiert, dass Sie in der faschistischen Wehrmacht gedient haben? Stimmt es, dass Sie in Westdeutschland Mitglied einer Studentenverbindung waren?«
Rathke, der mit 16 Jahren gerade noch zum Kriegsdienst eingezogen worden war, ließ sich nicht
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