Winter Im Sommer - Fruehling Im Herbst
Schweigen, dann meldeten sich zwei oder drei Kollegen. Später stellte sich heraus, dass auch der Leiter der größten diakonischen Einrichtung in Rostock Kontakte zum MfS hatte, ferner ein Pastor aus einer großen Rostocker Gemeinde und selbst unser Landessuperintendent, ein fleißiger Herr, der zuvor treu und zuverlässig eine Gemeinde aufgebaut hatte und unverdächtig war, die SED zu unterstützen. Alle wurden sie als IM geführt, was wir damals natürlich nicht wussten. Ein weiterer Pastor hatte sich mir gegenüber schon vorher offenbart. Er hatte sich allzu naiv regelmäßig mit einem Stasi-Offizier getroffen, der sich als ehemaliger Klassenkamerad sein Vertrauen erschlichen hatte.
Für mich stand eindeutig fest, dass sich ein Kontakt zur Stasi nur legitimieren ließ, wenn es um die Klärung konkreter Fragen etwa nach Verhaftungen ging. Schon das Gespräch mit Terpe wäre eine Grenzüberschreitung gewesen, wenn ich es geheim gehalten hätte. Dann hätte daraus ein Dauerkontakt mit einer IM-Akte entstehen können. Hauptmann Terpe scheint kurzfristig diese Hoffnung gehegt zu haben. Wenn man vernünftig mit mir spräche, hielt er in seinem anschließenden Bericht fest, sei ich vielleicht als Inoffizieller Mitarbeiter zu gewinnen. Die Stasi hatte schon erfolglos versucht, meinen Bruder Eckart zu gewinnen, sie hatte versucht, meine Schwester Marianne zu gewinnen, und jetzt sollte ich gewonnen werden, der aus demselben antikommunistischen Elternhaus kam und sie seit Jahren offen angegriffen hatte? Nicht einmal Terpes Vorgesetzte konnten dieser Idee folgen.
Im Unterschied zur benachbarten Greifswalder Landeskirche, wo außer dem Bischof drei von vier Oberkirchenräten intensive
Kontakte zu Stasi-Offizieren unterhielten, ist es dem MfS in der Mecklenburgischen Landeskirche seit Mitte der siebziger Jahre nicht mehr gelungen, einen IM im Oberkirchenrat zu installieren. Nach 1989 ist die IM-Belastung von Pastoren auch nicht stillschweigend übergangen worden. Bischof Stier hat alle belasteten Kollegen aufgefordert, sich im Laufe weniger Monate zu offenbaren, und suchte damit zu verhindern, dass sich die Betreffenden erst bekannten, wenn sie der Aufdeckung nicht mehr ausweichen konnten. Ein erheblicher Teil der Pastoren hat von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht.
Schwarze Pädagogik in rot
M ein Sohn Martin, er mochte vielleicht fünfzehn sein, hatte einen Parka geschenkt bekommen. Aus dem Westen. Alle Jugendlichen wollten Parka und Jeans aus dem Westen. Martin zog morgens stolz zur Schule, mittags kehrte er bedrückt heim. Auf dem Bahnsteig 1 des Rostocker Hauptbahnhofs war er auf dem Nachhauseweg von der Transportpolizei aufgegriffen und in den dunklen Flur eines Seitengebäudes gezogen worden: Er müsse das Emblem auf dem linken Ärmel seines Parka abtrennen. Das Emblem war zwei mal vier Zentimeter groß, eine serienmäßig aufgenähte Deutschlandfahne. Dieselbe Aufforderung hatte Martin zwei Stunden zuvor schon einmal gehört, von seinem Mathematiklehrer: »Das Ding muss ab!« Martin war trotzig. Er weigerte sich beim Mathematiklehrer, und er weigerte sich bei der Transportpolizei. Doch im Unterschied zum Lehrer wurde der Polizist übergriffig. Er holte ein Taschenmesser der westdeutschen Marke »Solingen« aus der Hosentasche und trennte den Aufnäher ab. Martin war hilflos und wütend.
Der Vorfall empörte mich. Ich fuhr sofort zum Bahnhof und verlangte ein Gespräch. Erst ließ man mich warten und verweigerte jede Auskunft, schließlich wurde mir erklärt, die Transportpolizei sei verpflichtet, gegen Schmutz-und Schundliteratur vorzugehen. Gegen Schmutz-und Schundliteratur? Ich erinnerte den Offizier, der etwa in meinem Alter war, daran, dass er als Schüler unter genau dieser Fahne zum Appell angetreten sei und die Fahne wahrscheinlich auch auf der Demonstration zum 1. Mai getragen habe. Ob er vergessen habe, dass diese Fahne bis 1959, als Walter Ulbricht Hammer, Zirkel und Ährenkranz einfügte, auch unsere Fahne gewesen sei? Das interessiere ihn nicht, entgegnete er und fügte hinzu: »Sie mögen ja Recht haben, aber wir haben die Macht.«
Auf dem linken Ärmel von Martins Parka war seitdem eine dunkle Stelle zu sehen. Er mochte den Parka trotzdem. Er war aus dem Westen.
Die Jugendlichen in der DDR standen unter einem Konformitätsdruck wie kaum eine andere Bevölkerungsgruppe. Die Erziehung zur »sozialistischen Persönlichkeit« hatte Schüler und Jugendliche im weißen oder blauen Hemd als
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