Winter Im Sommer - Fruehling Im Herbst
Ortsgemeinden nichts oder nur noch wenig zu tun hatten und radikaler auftraten als jene. Statt auch Bürgerrechtler, Friedensbewegte und Oppositionelle zu unterstützen, deren Meinungen sie nicht unbedingt teilten, grenzten sich die Kirchenleitungen ab gemäß der Linie: »Die Kirche ist für alle, aber nicht für alles da.« Die Basisgruppen fühlten sich dann oft im Stich gelassen von der Kirchenleitung, der sie zu große Staatsnähe vorwarfen.
Dank Heinrich Rathke und seiner Geradlinigkeit und Offenheit ist es in Mecklenburger Kirche in den siebziger und achtziger Jahren nicht zu einer Kluft zwischen oben und unten gekommen.
Er ist als primus inter pares aufgetreten, hat Tuchfühlung zu den Amtsbrüdern gehalten und immer das Gespräch mit ihnen gesucht. Auch in der Mecklenburgischen Landeskirche gab es Spannungen, wenn die mittleren Ebenen der Amtskirche oder Kirchgemeinden mutigere Pfarrer zu zügeln versuchten oder ihre Solidarität verweigerten, wenn sie meinten, dass Einzelne sich zu weit vorwagten. Es ist das große Verdienst von Heinrich Rathke, Reizthemen wie Ausreise oder Umwelt immer geduldet, den Kontakt zu unbequemen Einzelnen und Gruppen in der Kirche immer gehalten und sich vor diese gestellt zu haben, wenn sie vom Staat angegriffen wurden, so dass es letztlich nie gelang, die »Basis« gegen die Kirchenleitung auszuspielen.
Heinrich Rathke und sein Nachfolger Christoph Stier wussten, dass sich Kontakte mit staatlichen Stellen nicht umgehen lassen. Aber beide ließen sich auf keine Kungelei ein, auf keine »vertraulichen« Gespräche, keine privaten Treffen.
Schwer vorstellbar für mich ist, dass Rathke sich mit dem Staatsratsvorsitzenden Erich Honecker auf eine Weise getroffen hätte, wie es unter Leitung des Vorsitzende des Bundes der Evangelischen Kirchen, Albrecht Schönherr, im März 1978 unter äußerster Geheimhaltung geschah, so dass selbst die kirchliche Öffentlichkeit völlig überrascht war. Allerdings stellten wir fest, dass dieses Spitzengespräch auch einige positive Nachwirkungen hatte, etwa indem der Kirche gestattet wurde, kirchliche Rundfunkandachten durchzuführen oder Seelsorge in Gefängnissen und Altersheimen anzubieten. Ich begann umgehend, Gottesdienste im großen staatlichen Altersheim abzuhalten.
Das Spitzengespräch erbrachte aber keinen grundsätzlichen Wandel der Kirchenpolitik von Partei und Staat. Der Spielraum im öffentlichen Leben war für Christen weiterhin eng. Beispielsweise war es nicht möglich, in der Ostseezeitung , die meine Großmutter Warremann ihr Leben lang gelesen hat, auch wenn es die von der SED herausgegebene Regionalzeitung war, für sie eine Todesanzeige aufzugeben mit dem Bibelzitat »Meine Zeit steht in Deinen Händen. Psalm 31«. Meine Beschwerde wurde vom Verlagsleiter
mit der Begründung abgewiesen, dass auch von Kunden bezahlte Anzeigen keine christlichen Texte und Symbole enthalten dürften.
Auf der anderen Seite darf man nicht vergessen: Obwohl die Kirche in der DDR im Unterschied etwa zu Polen eine Minderheitenkirche war, hatte sie mehr Rechte als jede andere Kirche im sozialistischen Lager.
Neben den Diskussionen innerhalb der DDR spielten für mein theologisches Selbstverständnis auch die Begegnungen mit Pastoren und kirchlichen Mitarbeitern aus dem Westen eine wichtige Rolle. Diese Menschen standen in ihrem Denken Theologen wie Jürgen Moltmann oder Helmut Gollwitzer nahe und konfrontierten uns mit Themen, die für uns lange Zeit keine Rolle gespielt hatten: mit dem Wettrüsten der Großmächte, dem Raubbau an den Schätzen der Erde, dem Apartheidregime in Südafrika, der Befreiungstheologie in Südamerika - die befreiungstheologischen Schriften etwa eines Ernesto Cardenal oder eines Leonardo Boff drangen auch zu uns vor, und über die weltweiten ökumenischen Beziehungen wurden auch wir Teil der überwiegend katholischen »Theologie der Armen«.
Wer mit Partnern aus der Jugendarbeit im Westen oder mit Studentenpfarrern sprach, bemerkte einen seit 1968 beständig stärker werdenden Bezug zum linken Denken, manchmal sogar einen ausgesprochenen Linksdrall. In seiner zivilen Form war der linke Zeitgeist des Westens für uns durchaus fruchtbar: Auch in Ostdeutschland kamen allmählich feministische Ideen auf, ein herrschaftskritischer Diskurs und antiautoritäre sowie Friedenserziehung. Auch wurde Kritik an der überkommenen Sexualmoral oder am autoritären Führungsstil geäußert.
Manchmal nahmen die Begegnungen mit linken
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