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Winter Im Sommer - Fruehling Im Herbst

Winter Im Sommer - Fruehling Im Herbst

Titel: Winter Im Sommer - Fruehling Im Herbst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joachim Gauck
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einschüchtern: »Herr Dr. Roßberg, ich sehe, dass unsere Begegnung nun zu Ende ist. Darf ich Sie zur Haustür begleiten?«
    Wir Pastoren haben immer unsere Hilfe angeboten, wenn Gemeindemitglieder von der Stasi kontaktiert wurden. Während seiner Zeit als Pastor in der Rostocker Südstadt ging Heinrich Rathke beispielsweise einmal anstelle des anzuwerbenden kirchlichen Mitarbeiters zum konspirativen Treffpunkt und ließ den Anwerbungsversuch damit auffliegen. Später, in seiner Zeit als Bischof, hielt er für jeden Pastor, der angeworben werden sollte, einen Standardbrief für das nächste Treffen mit dem Stasi-Mitarbeiter bereit. Darin hieß es lakonisch und unmissverständlich:
    1. Es wurde mir mitgeteilt, dass (XY angeworben werden soll).
    2. Ich finde es unverschämt, dass Sie das Vertrauen in unsere Gesellschaft missbrauchen.
    3. Wenn der Kontakt nicht beendet wird, werde ich alle Mittel - einschließlich der Westpresse - nutzen, um die Sache öffentlich …
    Diese Briefe hat Rathke dutzendfach verschickt und seine Drohung mit der Presse in einem Fall auch wahr gemacht. Er selber wurde, wie er nach 1989 beim Studium seiner zum Teil vernichteten Akten feststellte, von mindestens siebzig IM observiert.
    Auch ich habe mehrfach bei Gemeindemitgliedern interveniert. Frau Beyer beispielsweise, jene couragierte Frau, die 1971 nach Güstrow fuhr, um Helmut Schmidt zu sehen, war zu »vertraulichen Gesprächen« aufgesucht worden, nachdem die Stasi erfahren hatte, dass sie als eine von wenigen ostdeutschen Laien an dem Kirchentag 1985 in Düsseldorf teilnehmen sollte. Unter dem Druck hatte sie sich zunächst bereit erklärt, über ihre Erlebnisse auf dem Kirchentag zu berichten, dann waren ihr Skrupel gekommen. Als ein Stasi-Mitarbeiter kurz nach ihrer Rückkehr aus Düsseldorf ein weiteres »inoffizielles Kontaktgespräch« suchte, schlug sie ihm ein Frühstück am übernächsten Morgen vor, wandte sich danach aber unverzüglich an mich: »Es wäre mir lieb, wenn Sie zum Frühstück dazukommen. Ein Mitarbeiter der Stasi wird mich besuchen.«

    Schwerin 1984: Bischof Heinrich Rathke übergibt sein Amt an den jungen Bischof Christoph Stier. Mut und Lauterkeit hatten Rathke zu einem Vorbild für eine ganze mecklenburgische Pastorengeneration werden lassen. Stier setzte den Weg der Kritik und Distanz gegenüber dem SED-Staat fort, den sein Vorgänger beschritten hatte.

    Ich kam eine Viertelstunde vor dem verabredeten Termin, der Frühstückstisch war gedeckt. Als es klingelte, eilte Frau Beyer zur Tür: »Schön, dass Sie kommen«, begrüßte sie den Stasi-Offizier, führte ihn ins Zimmer und wies auf mich: »Ich habe noch jemanden dazu geholt. Darf ich vorstellen: mein Pastor, Herr Gauck.«
    Der Stasi-Offizier nannte sich Hartwich, als Hauptmann Portwich lieferte er einen Tag später einen Bericht über mein »freches und provokatives Auftreten« und meine »Unterstellungen« während des folgenden Gesprächs. Der »unbeabsichtigte Kontakt« mit mir führte jedenfalls dazu, dass die Stasi die Verbindung zu Frau Beyer sofort abbrach, da sie sich »dekonspiriert« hatte. Ich begegnete Herrn Hartwich, alias Hauptmann Portwich, nach vier Monaten noch einmal, dieses Mal auf eigenen Wunsch.
    Ich hatte in Erfahrung gebracht, dass in der Erweiterten Oberschule mehrfach der Versuch unternommen worden war, Schüler und Schülerinnen für die Stasi anzuwerben. Darüber informierte ich nicht nur den Superintendenten (der, wie sich später herausstellte, selber IM war), sondern bei nächster Gelegenheit auch Manfred Manteuffel, den staatlichen Vertreter für Kirchenfragen beim Rat der Stadt (der ebenfalls IM war): »Weiß das eigentlich Ihre Partei, dass die Stasi Unmündige in ihren Dienst zu pressen sucht?« Er könne, fügte ich hinzu, meinen Protest ruhig der Stasi weiterleiten, ich würde ihnen diese Ungeheuerlichkeit auch gern selbst vorhalten. Manteuffel gab sich jovial: Er kenne Leute von der Stasi, das seien vernünftige Leute, mit denen man durchaus reden könne. Tatsächlich meldete sich kurz darauf Herr Hartwich alias Hauptmann Portwich per Telefon: »Ich habe gehört, Sie suchen eine Aussprache mit einem ›kompetentenVertreter‹ des MfS?«

    Herr Hartwich brachte Herrn Herzog (alias Genosse Stegemann) mit; ich hatte meinen Vikar Uwe Bobsin dazu gebeten. Zwei Stunden lang haben wir zu viert in meinem Amtszimmer gesessen und uns gegenseitig beschimpft. Es war wunderbar. Ich habe ihnen gesagt, dass der Staat

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