Winter Im Sommer - Fruehling Im Herbst
stalinistische Züge aufweise, keine Kritik vertrage und die Freiheit des Einzelnen unterdrücke. Dass die Stasi ein neurotisches Sicherheitsbedürfnis habe, Wühlarbeit auch in den evangelischen Gemeinden betreibe, schon minderjährige Jugendliche anwerbe und durch Spitzeldienste in seelische Bedrängnis bringe und schließlich: »Wer betreibt denn in der DDR eigentlich Kirchenpolitik, etwa das MfS?«
Das Ganze war nichts als Selbstbefriedigung, absolut sinnlos, aber der ganze Groll und die tiefe Empörung mussten einmal aus mir heraus. Meine Wut darüber, dass sie zunehmend Jugendliche als Spitzel anwarben, hatte mich das Gespräch geradezu herbeisehnen lassen. Ich suchte einen Adressaten unter denen, die im Verborgenen agierten und sich uns niemals stellten, um ihnen endlich einmal deutlich die Meinung zu sagen.
Das abschließende Wort sprach Hauptmann Portwich in seinem handschriftlichen Bericht vier Tage später selbstverständlich sich selber zu: Dem Gauck wurde »klar und deutlich gesagt, dass es an ihm liegt, ob das MfS mit weiteren Jugendlichen aus seinem kirchlichen Bereich sprechen muss (!) oder nicht. Das MfS respektiert die Verfassung der DDR und trennt sehr deutlich Kirche von der politischen Untergrundtätigkeit, und da politische Untergrundtätigkeit verfassungswidrig ist, ergibt sich daraus ein staatliches Sicherheitsbedürfnis und eine Ziel-und Aufgabenstellung für das MfS. Wenn er als Pastor in der Kirche macht und Jugendliche nicht mehr feindlich-negativ inspiriert, wird er keine Probleme und Sorgen mehr mit dem MfS und den Staatsorganen haben. Er (soll …) in der Kirche nicht das Kommunistische Manifest, sondern das Evangelium verbreiten und die DDR-Bürger zu friedliebenden, humanistischen und loyalen Bürgern unseres Staates prägen.«
Damals wusste ich nicht, wie gut mich die Stasi über ihren
Hauptmann Portwich alias Hartwich bereits kannte. Schon über zwei Jahre ließ sie mich beobachten.
Meine zweite Begegnung mit einem Offizier der Stasi fand nach dem Kirchentag Ende Juli 1988 statt. Dieses Mal meldete sich ein Hauptmann Terpe per Telefon zu einer Aussprache an. Wir trafen uns in meinem Dienstzimmer, er kam allein, wusste sich zu benehmen und sah nicht so aus, dass man ihn gleich auf den ersten Blick der Stasi zugeordnet hätte. Er gab vor, sich für den erfolgreichen Verlauf des Kirchentages bedanken zu wollen. Offensichtlich hatte die Stasi Aktionen einer »Kirche von unten« wie in Berlin im Jahr zuvor befürchtet. Terpe gab sich dialogfähig und in Maßen witzig. Er hörte zu und dokumentierte meine Kritik sogar in seinem Gesprächsprotokoll: Danach beschwerte ich mich über die verweigerte Einreise für den Grünen-Abgeordneten Dr. Knabe und das Verbot der Kirchenzeitung vor dem Kirchentag, fand andererseits lobende Worte für den begonnenen, aber noch unzureichenden Dialog zwischen Marxisten und Christen und sprach meine Hoffnung aus, dass sich in der DDR eine ähnliche politische Öffnung vollziehen werde wie in der Sowjetunion. Hauptmann Terpe räumte selbstkritisch ein, auch die Stasi habe Fehler gemacht - er sei doch nicht blind und dumm, sagte er, sein Vater sei Professor in Greifswald. Darauf ich: »Was - Ihr Vater ist Professor, und Sie sind bei der Stasi?« Wenn der Apparat jetzt so selbstkritisch sei wie er, fügte ich hinzu, sei das völlig neu. Das müsse ich unbedingt meinem Bischof mitteilen. Jedenfalls ließ Stasi-Hauptmann Terpe bei der Verabschiedung seine Telefonnummer da, man könne ja weiterreden. Ich sagte: »Klingt ja alles sehr interessant, kann sein, dass ich mal darauf zurückkomme.«
Ob Hauptmann Terpe ein etwas hellerer Kopf war oder ob er sich der Politik der Perestroika anpassen wollte, habe ich nie erfahren. In seiner Familie war er jedenfalls das schwarze Schaf. Sein Bruder Harald wurde im Herbst 1989 einer der Sprecher des Rostocker Neuen Forums, sein Vater Frank kandidierte nach 1989 in Greifswald für die SPD und wurde als Forschungs-und Technologieminister Mitglied im Kabinett von Lothar de Maizière.
Unmittelbar nach dem Gespräch rief ich unseren Landesbischof Stier an: Bei mir habe sich jemand mit selbstkritischen Äußerungen von der Stasi gemeldet. Und auf dem nächsten Pastorenkonvent, der Dienstversammlung der Pastoren mit dem Landessuperintendenten, sagte ich zu meinen Kollegen: »Wenn die Stasi mit mir spricht, wird sie vorher wohl schon bei anderen gewesen sein. Ich bin sicher nicht der Einzige, der aufgesucht wurde.«
Betretenes
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