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Winter in Maine

Winter in Maine

Titel: Winter in Maine Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerard Donovan
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gegelb. Die Matratze ragte über den Rand des hölzernen Bettrahmens, der dicht über dem Boden lag, und hatte an der Stelle, wo ich jede Nacht lag, eine Kuhle. Sie sagte, man könne sehen, dass ich schon eine Weile keinen Besuch gehabt hätte, und vielleicht fragte sie sich, ob außer mir überhaupt jemand in dem Bett geschlafen hatte. Die Laken waren sauber und dufteten nach Lavendelseife. Ich hatte Kisten an der Wand aufgestapelt und auf einem Stück Teppich auf einen Dreierstapel ein Grammophon gestellt, das sich die Steckdose mit der kleinen, auf einer weiteren Kiste stehenden Lampe neben dem Bett teilte. Das war von Anfang an mein Schlafzimmer gewesen. Mein Vater hatte im gegenüberliegenden Zimmer geschlafen, das jetzt voller Regale und Bücher war. Wir lagen zusammen da, und sie streifte das Handtuch ab und zog mir das Hemd aus.
    In jener Nacht und ein paar noch bevorstehenden Sommer nächten wärmten wir uns gegenseitig unter der Decke, aber in den frühen Morgenstunden stand sie auf und ging zum Ofen und dem Stuhl mit dem roten Kissen. Ich glaubte, sie weinen zu hören, aber vielleicht war es auch nur die Nacht. Ich weiß, was sie zu dem Stuhl zog: Wenn man dort saß, wollte man nachdenken, wollte man lesen im Duft des Pfeifenrauchs, der von keinem bestimmten Gegenstand auszugehen schien; auch wenn ich das Kissen ans Gesicht hielt, beschwor der Pfeifen duft nur meinen Vater herauf.
    Falls Claire den Plan hatte, mich zu vernichten, hielt sie sich nicht daran. Am folgenden Abend fasste sie meine Hände und legte ein schmales Buch hinein, das ich noch nie gesehen hatte, Gedichte von John Donne. Auf das Titelblatt hatte sie ein paar Zeilen geschrieben.
    All die Stille wogt um dich, J ulius, wie das lange Gras. Du gibst mir das Gefühl, eine Dichterin zu sein.
    Ich war überrascht, solch schöne Worte über mich zu sehen, und wusste nicht, was ich sagen sollte. Sie streichelte meine Hände, beugte sich dichter zu mir und flüsterte leise im Feuer schein: Du sagst nie, was du empfindest, aber überall in dir spüre ich Zuneigung. Vielleicht ist das alles, was zählt, meinst du nicht auch?
    Wenn sich Einsamkeit messen ließ, dann vermutlich an hand des Glücks, das ich bei ihrem Anblick empfand, obwohl ich ohnehin glücklich war. Jetzt war ich mehr als glücklich, ich hatte kein Wort dafür, in meinem Leben urplötzlich so viel Gesellschaft zu haben. Claire kam mir vor wie die ersten Regentropfen, bei deren Anblick man mit dem Mantel über dem Kopf unschlüssig auf der Türschwelle steht und sich fragt, ob es bloß eine kleine Wolke oder ein Dauerregen ist. Auf ihre Frage nickte ich bloß, denn ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Etwas geschenkt zu bekommen war neu für mich, und ich fand nicht die richtigen Worte, um meinen Dank auszu drücken. Ihre Hände lösten sich.
    Mit Claire neben mir im Bett hörte ich in jener Nacht einen Fuchs und jede Menge Kojoten, die rudelweise im Wald heul ten, und dichter am Haus flogen die Perlhühner in den Bäumen auf und hockten sich nebeneinander. Die Vögel gackerten in ihrer jähen Angst vor einem Tier, das unter ihnen durchs Unterholz schlich, manchmal ein qualvoller, ängstlicher Schrei, und etwas sprang in die Nacht davon. Die Wände knisterten und knarrten, hauptsächlich weil sich das Holz in den kühleren Temperaturen zusammenzog, aber da waren auch andere Geräusche, irgendwas, das sich bewegte, oder Hobbes, ich wusste es nicht genau.
    Als ich am Morgen erwachte, war seine Schnauze an mein Gesicht geschmiegt; Claire war wohl schon früh in die Stadt gefahren.
    Liebe oder zärtliche, liebevolle Worte, ja, beides hatte sie mir zuteil werden lassen, und inzwischen glaube ich, ich hätte ihr irgendwie antworten sollen: Auch wenn ich nicht gewohnt war, dass ein Gefühl mehr oder weniger bedeutete, wenn man es beim Namen nannte, hätte ich ihr wenigstens sagen müs sen, dass ich dankbar war für ihre Gesellschaft, dass sie mir fehlte, wenn sie nicht kam, und dass es mit uns gut gehen würde, falls das Liebe war. Claire sagte nie wieder irgendwas, um herauszufinden, was ich erwidern oder tun würde. Manchmal kommt man sich so nah, dass man herausfindet, wie fremd man sich ist, das hätte ich wissen müssen.
    Nach jener Nacht wurden ihre Besuche seltener, und sie blieb immer kürzer. Die Abwesenheit eines Menschen beginnt wie eine neue Jahreszeit, zunächst nur Stück für Stück: Man sieht die Abwesenheit, lange bevor sie da ist. Bei Claire be gann es mit langen Blicken

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