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Winter in Maine

Winter in Maine

Titel: Winter in Maine Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerard Donovan
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bezeichnet, sei aus etwa einem halben Kilometer Entfernung erschossen worden - durch die Zähne, sofort tot, ein perfekter Schuss. Die Erwähnung dieses Punktes kam mir gefühllos vor. Was, wenn seine Familie zuschaute? Was dachte die Reporterin sich dabei? Plötzlich hielt sie die Hand ans Ohr, als würde sie horchen, wurde blass und nervös, und die Kamera schwenkte auf einen Polizeibeamten, der neben ihr stand.
    Ausgesprochen brutal, sagte ein Polizeihauptmann in die Kamera. Entsetzlich.
    Ich lebte in einer schnellen Welt. Gut eine Stunde vergan gen, und schon hatte sich die Nachricht verbreitet.
    Dann flimmerten weitere Nachrichten über den Bildschirm, frische Meldungen, eine raue Stimme, die Polizei sei inzwi schen der Meinung, vielleicht sei ein Serienmörder, ein Heckenschütze, in und um Fort Kent und im westlichen St. John Valley am Werk.
    Ich blickte nach draußen: der wirbelnde, verwaschene Ne bel, aber kein Troy, keine Polizei. Sie warteten außer Sichtwei te, oder sie warteten überhaupt nicht. Sinnlos, wie ein Opfer zu denken, und wenn sie da waren, in Ordnung. Zeit, nach Hause zu fahren.
    Ich ließ das Visier in die Hülle gleiten und ging nach drau ßen, direkt auf den Supermarkt und meinen Pick-up zu. Als ich an einem Jungen und seiner Mutter vorbeikam, tippte ich an meinen Hut, lächelte den Kleinen an, und er lächelte zurück. Ich spürte, dass es arme Leute waren, und wenn ich Geld gehabt hätte, hätte ich dem Jungen ein Spielzeug oder irgendwas gekauft. Der Festbaum strahlte heller, als ich näher kam, er beleuchtete den Gehsteig und meine Stiefel, aber ich spürte in dem Licht keine Warme, es war bloß Dekoration.
    Die Einheimischen hatten sich vor dem Supermarkt ver sammelt, mittendrin ein Polizist, der nickte und die Arme hochhielt, dann den Kopf schüttelte und die Leute mit wedelnden Armen aufzuhalten versuchte.
    Was ist mit der Polizei, warum könnt ihr den Kerl nicht schnappen?, fragte ein Mann. Zwei Männer kamen aus einer Seitenstraße, große, massige Männer mit großen Mänteln und Gewehren. Einer schwenkte sein Gewehr in der Luft und sag te: Jemand schießt auf uns, und niemand unternimmt was.
    Der Polizist entgegnete: Wir geben uns Mühe, aber hier oben ist ringsum Wald, das weißt du ganz genau, Pascal, und außerdem wissen wir nicht mal mit Sicherheit, ob noch je mand erschossen wurde. Es ist noch zu früh.
    Wie meinst du das?, rief der Gewehrschwenker.
    Ich meine, dass ihr euch beruhigen sollt, erwiderte der Poli zist. Ich meine, dass ihr weitergehen und nicht länger die Straße versperren sollt.
    Ich stand neben der Menschenansammlung und versuchte, trotz des ganzen Gedränges und des Aufruhrs im kalten Ne bel das Plakat zu lesen. Die Leute regen sich blitzschnell auf, die Bürger ziehen durch die Straßen, immer kurz davor, ihren Gefühlen freien Lauf zu lassen. Ein Toter eine halbe Stunde entfernt, und schon geraten alle in Harnisch.
    Tatsächlich, ich konnte das Plakat zwar nicht lesen, aber ich sah eine neue Botschaft darauf, der Mann hatte wieder etwas geschrieben: eine schwarze Spinne aus Wörtern. Es standen bloß zu viele Leute im Weg. Ich wollte nicht auffallen, indem ich es mir aus der Nähe ansah. Darum beschloss ich, ins Cafe zurückzukehren und zu warten, bis sie sich zerstreut hatten wie der Schnee im Wind. Doch zuerst brachte ich das Visier in den Wagen, sinnlos, mir Ärger einzuhandeln, weil ich es mit mir herumschleppte.
    Seit ich gegangen war, hatte sich das Restaurant mit Gästen gefüllt, die wegen der Nachrichten hergekommen waren, und man hatte zwei zusätzliche Fernseher aufgestellt, einen auf einem Tisch, den man extra abgeräumt hatte, also starrten die Leute auf verschiedene Apparate. Ich blieb zwischen den beiden Fernsehtischen stehen und suchte meine Kellnerin. Sie stand mit offenem Mund da, das Tablett vorgestreckt. Im gan zen Raum war es still, und mit all den sitzenden und aufrecht stehenden Körpern, die mich wie Bäume umgaben, hätte ich auch im stillen Wald sein können.
    Kann ich eine Tasse Kaffee haben?, fragte ich niemand Be stimmten.
    Jemand musterte mich von Kopf bis Fuß, als hätte ich etwas Schreckliches getan. Ich hatte doch bloß um einen Kaffee ge beten. Ich sah mich nach einem Tisch um, aber nur der mit dem Fernseher drauf war frei, deshalb zog ich einen Stuhl heran und setzte mich hinter den Apparat. Jetzt sahen mich alle an, ohne mich anzusehen. Es war seltsam, in dem Augenblick hatte ich das beste Versteck, die beste Tarnung

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