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Winter in Maine

Winter in Maine

Titel: Winter in Maine Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerard Donovan
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der letzten Jahre, aber niemand würde das Grab besuchen, in dem er mit seinem unbedeutenden Leben lag, oder auch nur wissen, wer er gewesen war. Und jetzt diese ständigen Schüsse, die mich an alles erinnerten.
    Während der nächsten Stunde hielt ich das Buch in Händen und lauschte den Schüssen, die laut und deutlich durch den Garten hallten. Nach dem Klang und der schnellen Schuss folge zu urteilen, handelte es sich um zwei Schützen, die weniger als zwei Kilometer entfernt waren, und jedes Mal, wenn ich mich in dem Roman verlor, verscheuchten die Schüsse die Wörter und schreckten mich auf, bis sich meine Gedanken ganz von dem Buch abwand ten und zu Gewehren zurückkehr ten. Mir wurde klar, dass ich den Jäger, der Hobbes erschossen hatte, wohl noch nicht erwischt hatte, dass er sich vielleicht noch in der Gegend herumtrieb.
    Von den beiden Gewehren, deren Schüsse unerbittlich aus dem Wald schallten und in den letzten Minuten auch näher gekommen waren, kam mir der Klang des einen bekannt vor. Etwas wurde in mir wieder aufgewühlt, dieser tief verankerte Trieb, der die Oberhand über mich gewann. Die Leute brach ten es nicht fertig, anderen ihre Ruhe zu lassen, überall machten sie einen grässlichen Lärm.
    Plötzlich befürchtete ich, an einem Punkt angelangt zu sein, wo das Leben mir alles Nötige beigebracht hatte. Ab jetzt wür de sich alles nur noch im Kreis drehen, immer wieder dasselbe, jedes Mal schwerer zu ertragen. Wenn ich ein Kind oder irgendwen hätte, hätte ich ihm alles erzählen können, was ich im Lauf der Jahre gesehen und gehört hatte, aber dazu würde es nicht mehr kommen. Immer im Kreis herum, das Leben von Julius Winsome, tagein, tagaus.
    Ich wurde aus den Büchern meines Vaters herausgeschos sen.
    Jedes Jahr wagten sich immer mehr Jäger, immer besser ausgerüstet, tiefer in den Wald, erst zufrieden, wenn sie etwas erlegt hatten. Und wenn ich bei der ganzen Schießerei nicht lesen konnte, wozu brauchte ich dann die Bücher? Dieser Ge danke ließ mich nicht los, und ich stellte mir vor, vielleicht weil ich noch nichts gegessen oder der Sherry mein Blut in der Gewalt hatte, vielleicht auch weil ich in der Luft spürte, dass irgendetwas sich näherte, keine Ahnung, ob ein Unwetter oder ein Mensch, jedenfalls stellte ich mir vor, dass ich ins Haus ging, mir so viele Bücher schnappte, wie ich auf einmal tragen konnte, sie auf die Lichtung hinausbrachte und am Rand des Blumenbeets aufstapelte. Und dann noch einen Arm voll, jeden Meter einen Stapel, bis alle am Waldrand aufgereiht waren. Was nützten mir die Bücher jetzt noch?
    Wenn ich das täte, wäre es am besten, sie zu verbrennen, sie keinem anderen zu überlassen, aber kein großes, stark qual mendes Feuer, denn sonst kämen im Nu Leute mit Eimern und guten Absichten angerannt, und Sirenen würden die Luft zerreißen. Wenn ich Aufmerksamkeit erregen wollte, dann gab es keine bessere Möglichkeit, als meinen Namen mit Rauchschwaden in den Himmel zu schreiben. Wirksamer wäre ein kleines, verborgenes Feuerchen, und dann noch eins und noch eins, haufenweise brennende Wörter, bis die ganze Bibliothek ohne viel Wirbel oder Aufmerksamkeit verschwunden war. Don Quichotte? Ein Mann, der meinem Vater zufolge so viel Wissen im Kopf hatte, dass es ihm den Verstand raubte. Das Parlament der Vögel? Solche Anmut war längst verschwunden, längst von geringem Nutzen.
    Aber es war auch sinnlos, die Bücher anzuzünden. Die Schneeflocken würden sich auf jede kleine Flamme legen und sie ersticken, und ich fragte mich, ob ich inzwischen tatsäch lich so dumm war zu glauben, ich könnte meine Kindheit, ja fast mein ganzes Leben verbrennen, aus einer Laune heraus oder weil irgendwelche Männer an einem Frühwintermorgen im Wald herumballerten.
    Die Bücher würden bleiben, wo sie waren. Stattdessen muss te ich mich um diese Gewehre kümmern.
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    Ic h ging wieder ins Haus, um mir ein drittes Glas Sherry zu holen, und setzte mich neben das Blumenbeet, wo mein Ge fährte einen halben Meter tief in der Erde lag.
    Er war in der Erde vergraben, und die Erde steckte in seinem Namen: Terrier, aus dem Lateinischen, ein Hund, der immer nach Beute gräbt. Und dennoch, wenn ich ein Baby auf die Lichtung gelegt hätte, hätte der Pitbullterrier, der in Hobbes steckte, dieses Baby vor Bären geschützt, vor Pumas, vor al lem, was im Wald herumstreifte, ob Mensch oder Tier, denn es war seine Aufgabe, das Baby zu schützen, und sei es mit dem eigenen Leben. Aber

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