Winter in Maine
setzte sich und blätterte wieder zu seiner Seite, aber es war zu spät, ich hatte gehört, was die Schüsse in ihm ausgelöst hatten. In jener Nacht träumte ich von einem gefiederten Bogenschützen, der auf eine Nachtigall in den Zweigen einer Zypresse zielte.
Mit zwölf oder dreizehn ging ich oft bei uns im Wald spa zieren, doch mein Vater hatte mir genau erklärt, wo ich nicht hingehen durfte. Eines Tages fand ich neben einem Pfad, der mir verboten war, eine rostige, an einen Baum gekettete Eisenfalle, die zugeschnappt war. Rechts im Unterholz lag ein Puma. Vor Angst umklammerte ich einen Baum, bis ich im Sonnenlicht über der Falle Fliegen kreisen sah und den Stumpf eines abgerissenen Vorderbeins bemerkte. Weinend lief ich nach Hause. Mein Vater erklärte mir das Ganze: Das Tier war in eine versteckte Jagdfalle getreten und hatte zuerst das eigene Fleisch und die Sehnen und dann noch die Knochen durchgebissen und sich losgerissen. Die Tiere, die das nicht täten, sagte mein Vater, versuchten ein paar Tage lang, das Bein herauszuziehen, bis der Hunger schlimmer sei als die Schmerzen, und dann bekämen sie Krämpfe und sähen vor Hunger seltsame Dinge, bis der nahende Tod sie beruhigte. Aber die Qualen der Katze seien vorbei. Zu der Frage, die ich nicht stellte, sagte er, manche Menschen müssten anderen Geschöpfen Schmerzen zufügen, um selbst weniger Schmerzen zu haben.
Bald gelangte ich in meinem Leben an einen Punkt, wo ich auf Menschen zu achten begann, die der Hütte und den Tie ren, die wir hielten, zu nahe kamen. Mit zwanzig oder so sah ich einen Mann, der eine Flinte Kaliber 12 um die Schulter geschlungen hatte, am Teich nach einem Tier Ausschau halten, das er erschießen könnte. Wir hatten damals ein zahmes Entenweibchen namens Cinder, das manchmal dorthin flog, es lebte schon seit vier Jahren auf der Farm, und das dazugehörige Männchen planschte gerade im Wasserbecken, um sich zu putzen. Ein paar Minuten vorher hatte ich die bei den noch auf der Farm einander rufen gehört. Also beobachtete ich den Mann vom Waldrand aus. Er sah unglücklich aus, schütteres Haar, dickbäuchig, das Flanellhemd aufgekrempelt, die Arme zerkratzt, und starrte reglos und stumm auf den von Pflanzen gesäumten leeren Teich. Vielleicht war Cinder dort unten, der Mann würde sie entdecken und schießen, und sie würde den Schrothagel nicht überleben. Ich bewegte mich, und er schaute zu mir herüber. Ich grüßte ihn nicht. Er murmelte irgendwas, ging links am Teich entlang und verschwand zwischen den Bäumen. Ich setzte Teewasser auf und wartete darauf, dass er zurückkam, weil ich dachte, er würde sich erst zufriedengeben, wenn er diesen Tag auf seine Art vollendet hatte. Aber ich irrte mich: Der Mann kehrte nicht zurück.
Mir schien, dass den Leuten draußen in der Welt niemand erklärte, wo sie nicht hingehen durften. Im Sommer hatte ich einen Ring aus Blumen, der den Wald abhielt, im Winter einen Ring aus Büchern, der die Kälte abhielt, damit ich mich für die Monate der Stille ins Haus zurückziehen konnte. Und um mich herum gab es noch einen anderen Ring, die Tiere, die sich wegen des Futters versammelten, das ich ausstreute, die Vögel, die im Winter auf Samen hofften und sich dafür im Frühling die Seele aus dem Leib sangen. Sie lebten in einem Umkreis von vielleicht hundert Metern, und am Ende überlie ßen sie sich friedlich dem Tod. Manchmal fand ich einen Vogel, der tot im Wald lag, eine Maus, die sich neben einem Stein zusammengerollt hatte. Hoffentlich konnte auch ich einmal so gut sterben. Vielleicht ist das ein Naturtrieb, das behaupten die Menschen zumindest. Aber man versuche mal, einen Menschen von etwas abzuhalten, was er unbedingt will: Die Leute lassen sich nicht zügeln, sie lassen sich nicht abbringen, auch sie sind an ihre Absichten gekettet, auch das könnte man als Naturtrieb bezeichnen. Die Triebe beherrschen uns alle.
Ich versuchte, noch ein bisschen zu lesen, doch ein anderes Thema hatte sich meiner Gedanken bemächtigt. Mein Leben war schlicht, kein Kirchturm, der an den Wolken kratzte, kein städtisches Leben, keine Geburtstage, Hochzeiten oder Wo chenenden, nur ein paar Blumen, die den Wald abhielten, eine Anzahl Enten und Perlhühner, die nachts in den Zweigen raschelten. Ein Leben, das ich mir selbst ausgesucht hatte. Das erinnerte mich wieder an Hobbes, aber ich hatte ihn nicht verlassen, und er mich auch nicht. Sein Verlust kratzte in meinem Magen wie Sackleinen, mein Gefährte
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