Winter in Prag: Erinnerungen an meine Kindheit im Krieg (German Edition)
Im Hotel meiner Eltern erfuhr sie, dass unsere Familie in Kürze Jugoslawien verlassen würde, weil mein Vater eine neue Stelle antrat. Vielleicht würden wir nach London zurückkehren; ob sie denn mit uns kommen wolle? Meine Cousine war hin und her gerissen. Die Großtante, bei der sie nach unserer Abreise nach Belgrad geblieben war, war selbst ausgereist – zu Angehörigen in England. Dáša war anschließend bei ihrer Tante Krista »untergebracht« worden, von der sie nicht allzu begeistert war. Wie bei den Nazis Jahre zuvor, wusste niemand im Voraus, wie das Leben in einer kommunistisch regierten Tschechoslowakei aussehen würde. Der Kalte Krieg hatte (von George Orwell) inzwischen seinen
Namen erhalten, und Walter Lippmann hatte bereits ein Buch darüber geschrieben, aber wie sich das Leben hinter dem Eisernen Vorhang gestalten würde, war alles andere als festgelegt. Dáša hatte einen Freund, Vladimir Šima, und wollte ihr Studium an der Karls-Universität abschließen. Die inzwischen Zwanzigjährige beschloss, in Prag zu bleiben.
Leider sollte ihr Leben, wie das vieler anderer Menschen, von der Politik aus dem Gleis geworfen werden. Im Januar 1949 wurde sie von Sicherheitsbeamten vorgeladen, um sie zu den Aktivitäten meines Vaters und zu ihren eigenen Ansichten zur Revolution des Volkes zu vernehmen. Ihre Versicherung, sich nicht für Politik zu interessieren, reichte nicht aus, um sie davor zu bewahren, dass ihre Tante sie aus dem Haus jagte und de facto enteignete. Meine Cousine nannte sie später »ein kommunistisches Biest«. Dáša war so aufgelöst, dass sie zur Wohnung ihres Verlobten ging und ihr Studienbuch mit allen ihren Ausweispapieren ins Feuer warf – aus dem ihre künftige Schwiegermutter sie mit knapper Not retten konnte.
Dáša und Vladimir heirateten; sie wurde Buchhalterin, Übersetzerin und Journalistin, und er Bauingenieur beim Militär. Sie hatten kein leichtes Leben, aber sie gründeten eine eigene Familie und schlugen sich durch. Meine Mutter versuchte, ihnen nach Kräften zu helfen, indem sie ihnen die Besitzurkunde für das Grundstück ihrer Eltern schickte. Es wurde später verkauft, um Geld aufzutreiben. Ich finde es rührend, dass Dášas Enkelkinder aus Respekt für ihr eigenes Vermächtnis ein besonderes Engagement für junge Flüchtlinge aus Bosnien, dem Kaukasus und Asien entwickelt haben.
V or der Abreise aus Prag traf sich mein Vater mit Clementis, um sicherzugehen, dass das Angebot der Regierung, einen Posten bei der UNO zu übernehmen, noch galt. Anschließend kehrten meine Eltern nach Belgrad zurück, wo die Wogen noch immer hochschlugen. Gerade als die Kommunisten den Sieg in der Tschechoslowakei feierten, machten sich in Jugoslawien erste Anzeichen für ein Ausscheren bemerkbar. Tito hatte ein überdimensioniertes Selbstbewusstsein und konnte es überhaupt nicht leiden, wenn ihm jemand vorschrieb, was er zu tun hatte – nicht einmal Stalin. US-Regierungsvertreter
waren sich nicht über das Ausmaß seines Zorns im Klaren, bis meine Mutter bei der Familie von Andrija Hebrang, einem prominenten, lokalen Politiker mit guten Kontakten nach Moskau, einen Abschiedsbesuch machen wollte. Sie kam zu einem verlassenen Haus, nur das eingeschüchterte Dienstmädchen war noch da und erzählte, dass die ganze Familie verhaftet worden sei. Offenbar war Tito zu der Überzeugung gelangt, dass die Sowjets Hebrang als seinen Nachfolger aufbauten – und das wollte er auf keinen Fall dulden. Die US-Botschaft nahm einen Bericht über den Hausbesuch meiner Mutter in ein streng geheimes Telegramm nach Washington auf. Einen Monat später wurde Jugoslawien aus dem sowjetischen Block ausgeschlossen, und die historische Rivalität zwischen Stalin und Tito zeigte sich ganz offen.
Ich sah meine Familie erst im Mai 1948 wieder, als sie in die Schweiz kamen, weil mein Vater sich in Genf mit UN-Vertretern treffen wollte. Der Rest fuhr mit ihm. Die Reise selbst verlief zwar unspektakulär, aber wir sahen uns gerne die Pfauenparade vor dem europäischen Sitz der Organisation an. Kathy machte dank meiner Wenigkeit Bekanntschaft mit Kaugummis. Das war für sie mit Sicherheit der Höhepunkt der Reise.
Nach Genf und unserem Treffen mit den Pfauen kehrte mein Vater nach Belgrad zurück, während ich in Chexbres blieb, um die Schule zu beenden, und meine Mutter, Kathy und John nach London fuhren. Als ich zu ihnen stieß, zogen wir in eine dunkle Kellerwohnung um, die nur deshalb etwas
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