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Winter in Prag: Erinnerungen an meine Kindheit im Krieg (German Edition)

Winter in Prag: Erinnerungen an meine Kindheit im Krieg (German Edition)

Titel: Winter in Prag: Erinnerungen an meine Kindheit im Krieg (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Madeleine K. Albright
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damals »hinter den sieben Bergen« lag. Die NATO sollte sich ihrer Aufgaben würdig erweisen; der Westen blieb standhaft; und der Eiserne Vorhang sollte eines Tages von beiden Seiten durch eine Revolution zerrissen werden, die Polen innerhalb von zehn Tagen, Ungarn in zehn Monaten, Ostdeutschland in zehn Wochen, die Tschechoslowakei in zehn Tagen und Rumänien in zehn Stunden befreite. 63 Während meines Lebens hat Mitteleuropa zwei Mal die Freiheit verloren und danach wieder zurückgewonnen; das ist ein Grund zum Feiern – und zur Wachsamkeit. Die Aufgabe der NATO ist noch längst nicht erledigt.
     
    V erglichen mit unseren Eltern und Großeltern, leben wir dennoch in einer völlig veränderten Welt. Zum großen Teil dank der Technologie sind die Mittel der Diplomatie revolutioniert worden, der geopolitische Schwerpunkt hat sich vom Westen nach Osten und Süden verlagert, und neue Bedrohungen der internationalen Sicherheit sind entstanden. Zum Glück hat sich die Rolle unseres Hauptgegners im Zweiten Weltkrieg grundlegend gewandelt. In den Jahrzehnten nach Hitler richtete das deutsche Volk sein Land in hervorragender Weise zu neuer Größe auf, als ein Bollwerk der
Demokratie, als guter Nachbar und als Vorbild beim Schutz der Menschenrechte. Es ist eine Ironie unserer Zeit, dass die Vereinigten Staaten heute ihren Verbündeten in Berlin auffordern, auf dem internationalen Parkett bestimmter aufzutreten, nicht zurückhaltender. Und es ist eine weitere Ironie, dass im Jahr 2011, zum 72. Jahrestag der deutschen Invasion in Prag, der Botschafter des Landes anrief und fragte, ob ich eine Auszeichnung (das Bundesverdienstkreuz) für meine Leistungen im Namen der amerikanisch-deutschen Beziehungen akzeptieren würde. Ich sagte: »Ja, natürlich, es wäre mir eine Ehre«, und dachte bei mir, dass inzwischen selbst meine Mutter dies gutheißen würde.
    Die Partnerschaft zwischen Tschechen und Slowaken überstand heiße wie kalte Kriege, aber am 31. Dezember 1992 trennten sich die beiden friedlich in der sogenannten Samtenen Scheidung. Wie meine Eltern hatte ich immer den Gedanken einer vereinten Tschechoslowakei befürwortet, aber vielleicht hatte es niemals sein sollen. Die Mehrheit der Slowaken sehnte sich wirklich nach einem eigenen Staat – ein Gefühl, das tschechische Nationalisten zwar bedauern mögen, wofür sie aber eigentlich Verständnis haben müssten.
    Das soll nicht heißen, dass die neue Ära völlig frei von Nachklängen der alten wäre. Wir haben unsere Lektionen des Zweiten Weltkrieges und seines Nachspiels bestenfalls unvollständig gelernt. Kleinere Irritationen lassen häufig genug mittelalterliche Ressentiments im Zusammenhang mit den slawischen Völkern und ihren Nachbarn oder zwischen Ost und West wiederaufleben. In Moskau haben die Behörden durchgesetzt, dass gestürzte Stalin-Denkmäler ersetzt werden und dass den Schülern und Studenten eine sogenannte »positive Geschichte« beigebracht wird, sprich: eine rein russozentrische Version historischer Wendepunkte. Diese Doktrin verbreitet etwa die Vorstellung, dass Stalin praktisch im Alleingang den Zweiten Weltkrieg gewann, während britische und amerikanische Führer feige versucht hätten, Hitler für einen Separatfrieden zu gewinnen. Kaum eine Entscheidung hat sich als schädlicher für die Zukunft erwiesen, als den Kindern beizubringen, die Vergangenheit zu verabscheuen. In Europa wird die Politik noch heute von extremistischen, teils offen antisemitischen, teils antimuslimischen Parteien
beschmutzt, welche die nationale Identität höher als das Engagement für demokratische Werte stellen. Linke Parteien halten sich ebenfalls immer noch: in der Tschechischen Republik sind die Kommunisten die drittgrößte Partei, in Russland die zweitgrößte.
    Die Menschen in allen Ländern, auch in den Vereinigten Staaten, neigen immer noch dazu, Klischeevorstellungen zu akzeptieren. Bereitwillig glauben sie tendenziell das, was sie glauben wollen (etwa hinsichtlich der globalen Erwärmung), und warten ängstlich ab, bis andere die Führung übernehmen – versuchen damit vergeblich, sowohl die Verantwortung als auch jedes Risiko zu vermeiden. Wenn in einem fernen Land Schwierigkeiten auftreten, verstecken wir uns immer noch gerne hinter dem Prinzip der nationalen Souveränität, »kümmern uns um die eigenen Angelegenheiten«, wenn es uns in den Kram passt, und stellen uns die Demokratie wie einen Sommeranzug vor, den man bei schönem Wetter trägt,

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