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Winter in Prag: Erinnerungen an meine Kindheit im Krieg (German Edition)

Winter in Prag: Erinnerungen an meine Kindheit im Krieg (German Edition)

Titel: Winter in Prag: Erinnerungen an meine Kindheit im Krieg (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Madeleine K. Albright
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Bescheid, dass sie Radio hören mussten. Irgendwann kamen die Nazis dahinter, aber inzwischen waren die Sendungen für tschechische Loyalisten zu einer Art Sucht geworden. »Wir kauerten uns jeden Abend um das Radio, als wären wir zum Beten zusammengekommen, um 15 geliebte und illegale Minuten Nachrichten der BBC zu hören«, erinnerte sich ein Anführer des Widerstands. »Ich höre die Erkennungsmelodie noch heute, durch das Rauschen von über 50 Jahren hindurch.« 23
    Um das Signal auf Kurzwelle zu empfangen mussten Tschechen in ihre Apparate eine selbstgebastelte Konstruktion einbauen – einen sogenannten »kleinen Churchill« –, die aus einer Bettfeder und einer Klopapierrolle bestand. Die Behörden verlangten, dass auf jeden Rundfunkempfänger ein Etikett mit der Warnung geklebt wurde, dass das Einstellen eines ausländischen Senders mit der Todesstrafe geahndet werden konnte. Schulkinder wurden aufgefordert, jeden zu melden, der versuchte, dieses Verbot zu umgehen, auch Klassenkameraden, Nachbarn und sogar die eigenen Eltern. Deshalb achteten die regelmäßigen Hörer auch darauf, das Zusatzgerät sorgfältig zu verstecken und ihren Empfänger nach dem Abmelden auf einen anderen Sender einzustellen.
    Neben seinen anderen Pflichten war es die Aufgabe meines Vaters, mit dem Foreign Office den Inhalt der Sendungen auszuhandeln. Jedes Skript wurde in englischer und tschechischer Sprache vorbereitet und von britischen Zensoren auf die Übereinstimmung mit den Sicherheitsvorkehrungen geprüft. Es durfte nichts gesagt werden, was dem Feind nützliche Informationen liefern konnte. Die tschechoslowakischen Exilpolitiker mussten ebenfalls ihre Zustimmung geben, so dass mein Vater häufig mit Beneš und anderen hohen Vertretern zu tun hatte.
    Die Rundfunksendungen wurden auf Aluminiumscheiben aufgezeichnet, die allerdings nicht erhalten sind, weil sie sofort eingeschmolzen und zu neuen recycelt wurden. In den Archiven der BBC im Caversham Park liegen jedoch die Protokolle der Belegschaftssitzungen (an denen mein Vater teilnahm) vor, sowie Verzeichnisse der Rundfunkübertragungen, die das Thema der Sendung und Kommentare, welche gut ankamen und welche nicht, enthielten.
    Jede Rundfunksendung war für exakt 15 Minuten geplant, einschließlich Vorspann. Das bedeutete, dass die Skripte genau die richtige Länge haben und dass die Sprecher sie mit der richtigen Geschwindigkeit lesen mussten. Die Schreiber taten ihr Bestes, den Text maßzuschneidern, aber manche Menschen sprechen nun mal schneller als andere. In einigen Fällen hatte dies ein hektisches Gestikulieren zur Folge, das entweder signalisieren sollte, dass ein Teil des Materials gestrichen wurde oder dass der Sprecher langsamer
reden sollte. Einmal erhielt ein Sprecher eine Liste mit Nachrichtenmeldungen, auf der die neunte mit dem Vermerk versehen war: »muss als letzte gelesen werden«, also nach den Punkten zehn und elf. Nicht aufeinander abgestimmte Uhren konnten ebenfalls Kopfzerbrechen bereiten: Wenn die Uhr der BBC nicht mit der des Studios übereinstimmte, fing die Sendung eventuell mitten in einem Beitrag oder mit 20 Sekunden Funkstille an.
    Nach monatelangen Experimenten einigten sich die Produzenten auf einen dreiteiligen Aufbau: politische Unterweisung, das »Hauptthema« und »Nachrichten des Tages«. Auf diese Weise konnten die allerwichtigsten Teile (Ermahnungen an die Öffentlichkeit und verschlüsselte Informationen für den Widerstand) verlesen werden, ohne dass man befürchten musste, dass sie zu lang waren. Die Themenbeiträge, die häufig mein Vater schrieb, waren auf maximal sechs Minuten begrenzt.
    Die Regisseure setzten häufig Musik- und Geräuscheffekte ein wie aufgezeichnete Gewehrschüsse und das Vorübersausen von Flugzeugen. Die technischen Möglichkeiten steigerten die Dramatik ein wenig, erhöhten aber auch das Risiko eines mechanischen Fehlers. Eine Sendung wurde von einem unerwünschten Scherzo Beethovens unterbrochen; andere wurden von unpassenden Geräuschen (knatternde Motoren, schnatternde Enten) gestört, die sich einschlichen, als die Bänder zu lange liefen. Das Rascheln von Papier und Hustenanfälle (die meisten Sprecher rauchten) kamen zu der Kakophonie noch hinzu.
    Schon nach kurzer Zeit wurden die Sendungen drei Mal täglich ausgestrahlt: um 7 Uhr, 18.30 Uhr und um Mitternacht. Mein Vater schrieb unablässig Skripte, redigierte und korrigierte aber auch die Texte seiner Kollegen. Er setzte sich nicht nach einem

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