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Winter People - Wer die Toten weckt: Wer die Toten weckt (German Edition)

Winter People - Wer die Toten weckt: Wer die Toten weckt (German Edition)

Titel: Winter People - Wer die Toten weckt: Wer die Toten weckt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer McMahon
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Fuß schmerzte in der Kälte. Sein Atem dampfte. Das fahle Mondlicht ließ den verschneiten Hof blau erscheinen.
    Beeil dich, Martin. Du musst es schnell erledigen. Du darfst nicht zögern. Du darfst kein Feigling sein.
    »Ich weiß«, sagte er laut.
    Das Haus in seinem Rücken schien ihn zu beobachten. Sara schlief und träumte ihre verrückten Träume. Linker Hand, jenseits der Scheune, konnte man den Umriss des Hügels ausmachen. Die Spitzen der Finger der Teufelshand waren dunkle Flecken im Schnee.
    Er sah auf das hölzerne Kreuz herab, das er eigenhändig gezimmert hatte. Er hatte ihren Namen sorgfältig oben hineingeschnitten:
    Gertrude Shea
    1900 – 1908
    Geliebte Tochter
    Seine Hände zitterten. Der Angstschweiß hatte sie ölig gemacht, so dass die Schaufel ihm fast entglitt.
    Schneller.
    Die schräg stehenden Schatten der Schiefergrabsteine schienen ihm zuzuschauen und sich im Mondlicht ungeduldig zu bewegen: Gerties Großvater, ihre Großmutter (von der sie ihren Namen hatte) und ihr Onkel beäugten sein Tun und fragten: Was machst du mit unserer kleinen Gertie? Sie ist jetzt eine von uns. Sie gehört nicht länger zu dir.
    Seit zwei Tagen starrte Martin unentwegt auf das Grab seiner kleinen Tochter und wusste, was er zu tun hatte.
    Er musste herausfinden, was in ihrer Tasche war.
    Sara hatte im Beisein von Lucius wirres Zeug geredet und darauf gepocht, dass Gertie ermordet worden sei und etwas in der Tasche ihres Kleides bei sich trage, was ihrem Mörder gehört habe. Wem würde sie sonst noch davon erzählen, wenn sie Gelegenheit dazu bekam? Wie lange noch, bis jemand ihr Gehör schenkte? Bis man Sara des Mordes bezichtigte? Er musste sich vergewissern, was in der Tasche ihrer kleinen Gertie steckte – falls überhaupt etwas darin war.
    Martin packte die Schaufel fester. Die Erde unter der Schneedecke war ungewöhnlich locker und weich. Das Blatt der Schaufel glitt hinein wie ein warmes Messer in Butter. Es hätte ihn mehr Kraft kosten müssen, doch es ging ganz leicht.
    Zwei Wochen zuvor hatte er ein Feuer machen müssen, um den Boden so weit aufzutauen, dass er ein Loch graben konnte. Er – ein trauernder Vater – hatte die ganze Nacht dagestanden und das Feuer mit zerschnittenem Windbruch von der Obstwiese am Leben erhalten. In jener Nacht waren ihm aus den Flammen Gestalten entgegengesprungen, wie um ihn zu quälen: der Brunnen, der Fuchs, Gerties Zopf am Nagel in der Scheune. Einen Ast nach dem anderen hatte er in die hungrigen Flammen geworfen, um sie zu nähren und die Bilder, die er in ihnen sah, fortzubrennen.
    Der Boden über dem Grab war noch immer dunkel von Asche und Kohleresten.
    Wie tief lag sie? Sechs Fuß? Sieben?
    Ein Fuß für jedes Jahr ihres Lebens.
    Er dachte an die Warnung, die er vor Tagen gegenüber Sara ausgesprochen hatte: Hast du darüber nachgedacht, wie ihr Körper jetzt aussieht?
    Oh ja. Martin hatte darüber nachgedacht. Er hatte davon geträumt. Wie Gertie, der das faulende Fleisch von den Knochen fiel, zu ihm aufschaute. Ihre kleinen Zähne waren noch perlweiß, als sie den Mund öffnete, um zu hauchen: Warum? Warum, Papa? Warum?
    »Keine andere Wahl«, sagte Martin laut. Er verstärkte seine Anstrengungen, grub schneller, tiefer. Der Erdhaufen neben dem Grab begann zu wachsen.
    Doch was erhoffte er sich eigentlich davon? Wenn er Gertie ausgrub und etwas in ihrer Tasche fand, was würde er dann tun? Es verstecken? Seine Frau schützen?
    Oder würde er es dem Sheriff zeigen, damit Sara für immer weggesperrt wurde?
    Wahnsinnig oder nicht, Sara war alles, was er noch im Leben hatte.
    Seit Wochen sann er über jenen Tag nach. Er hatte versucht, sich jede Einzelheit ins Gedächtnis zu rufen: der Fuchs, die blutige Spur im Schnee. Hatte er Gertie rufen hören? Hatte er überhaupt irgendetwas gehört? War jemand anderer dort draußen im Wald gewesen? Die alte Frau – aber nein, das war bloß ein Baum gewesen.
    Ein Teil von ihm weigerte sich zu glauben, dass Sara dazu fähig wäre, Gertie ein Leid anzutun, nicht einmal in einem Anfall von Wahnsinn. Gertie bedeutete Sara alles.
    Nichts ergab einen Sinn.
    Und hier stand er nun und tat das Sinnloseste von allem – er grub die Leiche seiner eigenen Tochter aus.
    Es gab ein dumpfes Geräusch, als die Schaufel auf Holz traf – der Deckel von Gerties Sarg. Der Sarg, den er und Lucius aus den Kiefernbrettern gezimmert hatten, die er in der Scheune aufbewahrt hatte, um im Frühjahr den neuen Hühnerstall daraus zu

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