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Winter People - Wer die Toten weckt: Wer die Toten weckt (German Edition)

Winter People - Wer die Toten weckt: Wer die Toten weckt (German Edition)

Titel: Winter People - Wer die Toten weckt: Wer die Toten weckt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer McMahon
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schwankte leicht im Wind wie ein langer, trockener Grashalm.
    Trotz der Kälte brach auf Martins Stirn der Schweiß aus.
    Erneut langte er in die rechte Tasche seiner wollenen Jacke. Darin lag der Pferdeschwanz, zusammengeringelt wie eine weiche Schlange.
    Er ließ sich auf die Knie nieder und begann mit seinen bereits frosttauben Fingern ein Loch zu scharren. Er grub so tief er konnte, bis er auf eine Eiskruste stieß, die sich nicht durchbrechen ließ. Er trat sie mit der Stiefelspitze ein und grub weiter. Als er nicht mehr tiefer kam, legte er den Pferdeschwanz in das Loch und bedeckte ihn mit Schnee. Er wischte sich die steifgefrorenen Hände an der Hose ab und kehrte dann zum Pferd zurück, das nicht glücklich darüber war, im Tiefschnee im Freien sein zu müssen.
    »Hast du es getan?«, fragte Sara, als er auf dem Weg in die Stadt an ihr vorbeiritt.
    Er nickte, vermochte ihr jedoch nicht in die Augen zu sehen. »Geh ins Haus und wärm dich auf. Ich hole Hilfe.«

Besucher von der anderen Seite
Das geheime Tagebuch der Sara Harrison Shea
13. Januar 1908
    Clarence Bemis war derjenige, der sie heute Morgen fand, annähernd vierundzwanzig Stunden, nachdem sie aus dem Bett geklettert war, um ihrem Papa zu folgen.
    Als die drei Männer – Clarence Bemis, Martin und Lucius – heute früh um zehn nach acht mit Stiefeln voller Schnee ins Haus traten, sah ich es sofort in ihren Gesichtern. Ich wollte sie fortschicken. Die Tür verriegeln. Ihnen sagen, dass es sich um einen Irrtum handeln musste – dass sie weitersuchen sollten, nicht eher wiederkommen durften, als bis sie mir mein kleines Mädchen heil und gesund zurückbrachten.
    In diesem Augenblick hasste ich sie alle drei: Clarence in seiner Latzhose, mit seinen zu langen, ungewaschenen Haaren und nach Whiskey stinkend; Lucius mit seiner ernsten Miene, den guten Schuhen und dem sorgsam gestutzten Schnurrbart; Martin, der mit gebeugten Schultern hereingehumpelt kam, ein jämmerlicher Anblick, am Boden zerstört.
    Verschwindet , hätte ich am liebsten gesagt. Verschwindet aus meinem Haus.
    Ich wollte die Zeit zurückdrehen, damit Gertie noch immer in meinen Armen lag, weich und warm unter der Bettdecke.
    Martin nahm meine Hand und bat, ich solle mich setzen.
    »Wir haben sie gefunden«, sagte er, und ich presste die Hand auf meinen Mund, weil ich dachte, ich würde schreien. Doch kein Laut kam über meine Lippen.
    Die drei Männer standen reglos da, die Mützen in den Händen, und starrten mich an.
    Weit hinten an der östlichen Grundstücksgrenze der Familie Bemis gibt es einen Brunnen, der schon seit Jahren ausgetrocknet ist. Ich weiß noch, wie Auntie und ich einmal dorthin gegangen sind. Ich war damals noch klein, nicht viel älter als Gertie. Wir warfen Steine hinein und lauschten auf das Geräusch, wenn sie unten aufkamen. Ich lehnte mich über die Einfassung aus rauen Steinen und versuchte bis nach unten zu schauen, doch es war zu finster. Aus dem Brunnenschacht stieg ein dumpfer, feuchtkalter Geruch zu mir empor, und ich glaubte einen kühlen Hauch zu spüren.
    »Wie tief reicht er wohl hinab, was meinst du?«, fragte ich Auntie.
    Auntie lächelte. »Vielleicht bis ans andere Ende der Erdkugel.«
    »Das geht doch gar nicht«, beschied ich sie.
    »Oder vielleicht«, sagte sie, während sie einen weiteren Kiesel in die Tiefe warf, »führt er in eine andere Welt.«
    Ich beugte mich noch weiter vor, weil ich unbedingt etwas erkennen wollte, doch Auntie fasste mich am Kleid und zog mich zurück. »Sieh dich vor, Sara. Wo auch immer er hinführt, ich glaube nicht, dass du dort sein möchtest.«
    Clarence sagte, Gertie habe so friedlich zusammengerollt dagelegen, als wäre sie eingeschlafen.
    »Sie hat nicht gelitten«, erklärte Lucius mit leiser, ruhiger Stimme und legte eine Hand auf meine. Seine Hand fühlte sich weich an und wie gepudert, ohne eine einzige Schwiele oder Narbe. Er war Zeuge gewesen, wie man Gertie heraufgezogen hatte, und ich empfand es als schreckliches Unrecht, dass Lucius dabei gewesen war und nicht ich. Sie hatten Jeremiah Bemis an einem Seil in den Brunnen hinabgelassen, und er hatte das Seil dann um Gerties Taille geknotet. Ich schloss die Augen. Ich wollte mir nicht vorstellen, wie ihr kleiner Körper hin und her pendelte und gegen die Wände des Brunnenschachts stieß, während man sie aus der Finsternis ins Freie zog.
    »Sie war sofort tot«, erklärte Lucius, als wäre das ein Trost.
    Doch es ist kein Trost. Denn immer und immer

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