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Winter People - Wer die Toten weckt: Wer die Toten weckt (German Edition)

Winter People - Wer die Toten weckt: Wer die Toten weckt (German Edition)

Titel: Winter People - Wer die Toten weckt: Wer die Toten weckt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer McMahon
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Unterarm zugefügt. Das Blut war nur langsam aus der Wunde gelaufen, deshalb hatte Katherine gewusst, dass er keine Arterie verletzt hatte, doch was, wenn er es erneut versuchte? Dann hätte er vielleicht nicht mehr so viel Glück.
    »Gary«, hatte sie ganz ruhig gesagt und sich ihm langsam genähert. »Leg das weg, Schatz. Leg die Scherbe weg.«
    Er hatte sie angesehen, als kenne er sie gar nicht, und die Wahrheit war, dass auch sie ihn in diesem Moment nicht wiedererkannte. In seinen Augen fand sie keine Spur von dem alten Gary, in den sie sich verliebt und den sie geheiratet hatte.
    Er hob die Glasscherbe und machte einen Schritt auf sie zu, woraufhin sie, außer sich vor Angst, aus dem Loft floh.
    Sie hatte diesen Blick nie vergessen: schwarz und hohl, wie leere Augenhöhlen.
    In der folgenden Woche begannen sie mit einer Trauerberatung. Es gab tränenreiche, verzweifelte Entschuldigungen, und die Ausbrüche wurden ganz allmählich seltener, kürzer, beherrschter. Irgendwann hörten sie ganz auf – die grenzenlose Wut war der Traurigkeit gewichen. Gary war wieder er selbst, eine trauernde Version seiner selbst, sicher, aber zumindest wiedererkennbar. Katherine glaubte, dass sie es schaffen konnten.
    Und dann, im Oktober, nach der Rückkehr von ihrem Wochenendtrip, schienen alle Warnsignale wieder da zu sein. Gary ließ sich erneut vom Ungetüm seiner Trauer hinabziehen. Katherine wusste nicht, wie viel sie noch würde ertragen können.
    Ein Neubeginn, in der Tat , dachte sie bei sich und starrte auf den Ring.
    Dann verließ er eines Morgens das Haus, um zu einem Fototermin zu fahren, und am Abend desselben Tages lag sie bäuchlings auf der Couch, schrie in die Polsterkissen und krallte ihre Finger in den Stoff, bis er zerriss, weil kurz zuvor zwei Polizisten an ihrer Tür geklingelt hatten.
    Da sie unsicher war, wo sie mit der Gestaltung des Innenlebens von Garys Letzter Mahlzeit beginnen sollte, beschloss sie, sich zunächst der Außenseite zu widmen. Sie verpasste dem Kasten eine Backsteinfassade, so dass er wie Lou Lous Café aussah. Doch als sie das Schild über der Tür malen wollte, konnte sie keinen einzigen ihrer feinsten Pinsel finden. Sie mussten noch irgendwo in einem Karton stecken, aber sie hatte doch alle Kartons mit der Aufschrift KUNSTBEDARF geöffnet? Katherine seufzte frustriert.
    Dann fiel ihr Blick auf Garys zerbeulten roten Angelkasten aus Blech – in ihm hatte er die Utensilien aufbewahrt, die er zum Säubern und Restaurieren der alten Fotos brauchte, die er sammelte. Sie wusste, dass sie darin einen feinen Pinsel finden würde – er hatte oft noch von Hand retuschiert. Die meisten Fotografen erledigten das mittlerweile am Computer, doch nicht so Gary.
    Sie öffnete den Kasten und kramte darin herum: eine Dose Druckluftspray, weiße Baumwollhandschuhe, Wattebäusche, weiche Bürsten und Lappen zum Säubern, Alkohol, Farben und Toner. Ganz zuunterst lagen die Pinsel in ihrer eigenen Plastikdose, darunter auch einer, der für ihre Zwecke genau richtig war.
    Als sie die Dose herausnahm, sah sie, dass darunter ein kleines Taschenbuch verborgen war. Wie seltsam.
    Besucher von der anderen Seite. Das geheime Tagebuch der Sara Harrison Shea.
    Es kam ihr wie ein Streich vor – als hätte Gary das Buch mit voller Absicht dort versteckt, damit sie es in diesem Moment fand: Genau das bin ich jetzt. Ein Besucher.
    Sie griff nach dem Buch und schlug es auf Seite zwölf auf.
    Danach war ich tief verzagt. Ich konnte das Bett nicht verlassen. Die Wahrheit ist, dass ich keinen Sinn darin sah, weiterzuleben. Hätte ich die Kraft gehabt, aus meinem Bett aufzustehen, wäre ich nach unten gegangen, hätte das Gewehr meines Mannes genommen, mir den Lauf in den Mund gesteckt und abgedrückt. Ich sah vor mir, wie ich es tat. Ich malte es mir aus. Träumte davon. Ich spürte, wie ich die Stufen hinabschwebte, nach der Flinte griff, das Schießpulver schmeckte.
    In meinen Träumen tötete ich mich unzählige Male.
    Hinterher wachte ich weinend auf, voller Gram, dass ich noch am Leben war, gefangen in meinem elenden Körper, meinem elenden Leben. Allein …
    Katherine ließ die Dose mit den Pinseln liegen und kehrte, das seltsame Buch in der Hand, ihrem Arbeitstisch den Rücken zu. Sie durchquerte das Wohnzimmer, nahm Zigaretten und Feuerzeug, machte es sich auf dem Sofa bequem, blätterte an den Anfang des Buches zurück und begann zu lesen.

Ruthie
    »Die ist definitiv geladen«, verkündete Buzz. In der Hand

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