Winter People - Wer die Toten weckt: Wer die Toten weckt (German Edition)
sich vergewissert hatte, dass Buzz nicht hinsah, vergrub sie das Gesicht in einem der alten Hemden ihres Vaters und versuchte, seinen Duft darin wiederzufinden. Sie roch nichts als Zedernholz und Staub.
Ihr war etwas mulmig zumute, selbst bei geöffneter Tür. In kleinen, engen Räumen geriet sie sofort in Panik. Ihre schlimmsten Alpträume waren solche, in denen sie in einem winzigen Raum eingesperrt war oder sich durch einen engen Tunnel zwängen musste. Früher oder später blieb sie immer stecken und wachte dann schreiend auf.
Ruthie achtete darauf, so weit wie möglich außerhalb des Schranks zu bleiben, während sie die Kleider gründlicher in Augenschein nahm. Wie seltsam, dass ihre Mutter die Sachen weggesperrt hatte. Hatte sie die grüne Strickjacke nicht letzte Woche noch getragen? Sie sah in sämtlichen Taschen nach, fasste sogar in die Schuhe hinein. Alles, was sie dabei zutage förderte, waren ein paar Streichholzheftchen und eine mit Fusseln übersäte Rolle Pfefferminzbonbons. Sie nahm die Schuhe aus dem Schrank, um den Boden freizuräumen, und betastete die Dielenbretter, um sich davon zu überzeugen, dass es im Boden nicht vielleicht noch ein weiteres Geheimfach gab.
»Ich find’s nach wie vor ziemlich abgefahren«, bemerkte Buzz und betrachtete mit zusammengekniffenen Augen den Wandschrank.
»Ja, wieso will sie verhindern, dass jemand da reingeht? Da sind doch bloß alte Schuhe und ein paar ausgeleierte Rollkragenpullis drin.«
Buzz schüttelte den Kopf. »Das meine ich nicht. Für mich sieht’s eher so aus, als wollte sie verhindern, dass was aus dem Schrank rauskommt .«
Ruthie zwang sich zu einem heiseren Lachen und sah Buzz dabei zu, wie er das Etikett von seiner Bierflasche pulte.
Es war seltsam und irgendwie aufregend, dass er hier bei ihr war, im Haus ihrer Mutter, sogar in ihrem Schlafzimmer. Mom hielt nicht viel von ihrer Beziehung zu Buzz und hatte keinen Hehl daraus gemacht, dass Ruthie ihrer Ansicht nach etwas Besseres verdient hatte als einen UFO -besessenen Kiffer, der auf dem Schrottplatz seines Onkels arbeitete.
»Versteh mich nicht falsch«, hatte sie gesagt. »Er sieht gut aus, darin gebe ich dir recht, nur habe ich mir für dich immer jemand anderen vorgestellt.«
»Und wen hast du dir für mich vorgestellt?«, fragte Ruthie angriffslustig zurück.
Ihre Mutter dachte kurz nach. »Jemanden, der nicht seine ganze Freizeit damit verbringt, UFO s zu jagen. So lenkt Buzz viel zu viel Aufmerksamkeit auf sich. Ich habe auf dem Markt einen Flyer gesehen – er hat irgendeine UFO -Gruppe ins Leben gerufen. Sie wollen sich einmal im Monat treffen und nach fliegenden Untertassen Ausschau halten. Auf dem Flyer stand, dass er glaubt, die Teufelshand sei so eine Art UFO -Knotenpunkt.«
Ruthie zuckte mit den Schultern.
»Das hat uns gerade noch gefehlt«, setzte ihre Mutter nach. »Dass Buzz und seine bunte Truppe von Spinnern in unseren Wäldern herumtrampeln.«
»Das sind nicht unsere Wälder«, entgegnete Ruthie.
»Trotzdem«, beharrte ihre Mutter und schürzte die Lippen. »Jemand sollte diesen Jungen mal zur Vernunft bringen.«
»Du kennst ihn wirklich überhaupt nicht«, hatte Ruthie gesagt, und dann war sie aufgestanden und gegangen.
Buzz war der vernünftigste, zuverlässigste Mensch, den man sich vorstellen konnte. Also gut, er hatte ein paar merkwürdige Ansichten – na und? Auf ihn war immer Verlass. Sie konnte ja verstehen, dass ihre Mutter Fremden gegenüber misstrauisch war, trotzdem machte es sie wütend, dass sie keinerlei Vertrauen in das Urteil ihrer Tochter zu haben schien.
Doch seit ihre Mutter verschwunden war, kam Ruthie die ganze Auseinandersetzung albern und kindisch vor. Sobald sie wieder auftauchte, würde Ruthie die Dinge anders angehen. Sie würde darauf bestehen, Buzz zum Abendessen einzuladen, damit ihre Mutter sich ein Bild davon machen konnte, was für ein wundervoller und einzigartiger Mensch er war, wenn man ihn nur richtig kennenlernte. Sie würde sich sogar mit ihrer Mutter zusammen seine Skulpturen anschauen. Mom hatte durch ihre Handarbeitsausstellungen so viele Kontakte, vielleicht hätte sie eine Idee, wie Buzz seine Kunst besser vermarkten konnte. Womöglich würde er eines Tages sogar davon leben können.
Sie setzte sich zu Buzz aufs Bett, nahm Besucher von der anderen Seite in die Hand, drehte es um und betrachtete das Foto ihres Hauses mit Sara Harrison Shea davor.
»Total bizarr, dass sie hier gewohnt hat«, meinte Buzz. »Ich
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