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Winter People - Wer die Toten weckt: Wer die Toten weckt (German Edition)

Winter People - Wer die Toten weckt: Wer die Toten weckt (German Edition)

Titel: Winter People - Wer die Toten weckt: Wer die Toten weckt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer McMahon
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Sprechen lernt.
    »Wir haben eine Frau mit zerzausten Haaren besucht, die in einem hohlen Baum wohnt. Sie ist aber schon lange tot. Sie ist eine vom Wintervolk.«
    Ich spüre, wie Mama sich versteift. »Wintervolk?«
    »So nenne ich sie«, erkläre ich und drehe mich zu ihr um. »Die Menschen, die zwischen dem Hier und dem Dort festsitzen und warten. Sie erinnern mich an den Winter, wenn alles bleich und kalt und tot ist und man nichts machen kann, außer auf den Frühling zu warten.«
    Mama sieht mich sehr merkwürdig an. So, als mache sie sich Sorgen.
    »Hab keine Angst, Mama. Die Frau, die ich getroffen habe, ist keine von den Bösen.«
    »Den Bösen?«, wiederholt Mama.
    »Manchmal sind sie zornig. Es gefällt ihnen nicht, dass sie festsitzen. Sie wollen zurückkommen, wissen aber nicht, wie, und je mehr sie es versuchen, desto zorniger werden sie. Manchmal sind sie auch bloß einsam und wünschen sich jemanden, mit dem sie reden können.«
    Plötzlich fliegt die Decke über unseren Köpfen davon, und ich spüre die Kälte des Zimmers. Meine Haut prickelt, als würde sie von tausend winzigen Eiszapfen gestochen.
    »Zeit zum Aufstehen«, sagt Mama mit einer Stimme, die höher ist als sonst. »Nachdem wir die Arbeiten erledigt und gefrühstückt haben, können wir zwei vielleicht etwas zusammen backen.«
    Mama ist aufgestanden, streicht die Laken glatt und schwirrt durchs Zimmer wie ein geschäftiger Vogel.
    »Sirupkekse?«, frage ich hoffnungsvoll. Die mag ich am allerallerliebsten. Shep mag sie auch, und jetzt, wo er so alt ist, darf er die Schüssel ausschlecken. Papa sagt, wir würden den Hund verhätscheln, aber Mama meint, Shep hätte es sich redlich verdient.
    »Ja. Aber jetzt lauf, such deinen Papa und frag ihn, ob er Hilfe beim Füttern der Tiere braucht. Und bring die Eier herein. Wir brauchen sie für die Kekse. Und Gertie?«, sagt sie und dreht mein Gesicht zu sich herum, so dass ich sie anschauen muss. Ihre Augen sind hell und glitzern wie Fische im Bach. »Erzähl ihm nichts von deinem Traum. Oder vom Wintervolk. Er würde es nicht verstehen.«
    Ich nicke ernst und springe mit einem großen Satz vom Bett auf den Fußboden. Heute bin ich ein Dschungeltier. Ein Löwe oder ein Tiger. Ein Tier mit scharfen Zähnen und Klauen, das irgendwo weit weg lebt, jenseits des Meeres, wo es immer heiß ist. Miss Delilah hat uns ein Bilderbuch gezeigt, darin waren alle Tiere, die Noah auf seiner Arche mitgenommen hat: Pferde und Ochsen, Giraffen und Elefanten. Mir haben die großen Raubkatzen am besten gefallen. Ich wette, sie können ganz leise gehen und lautlos durch die Nacht schleichen, so wie ich.
    »Grrr«, knurre ich und krieche auf allen vieren aus dem Zimmer. »Nimm dich in Acht, Papa. Hier kommt die größte Katze des Dschungels. Groß genug, um dich mit Haut und Haaren zu verschlingen.«

Martin
12. Januar 1908
    Martin kannte Sara schon sein ganzes Leben. Ihre Familie lebte auf dem Hof vor der Stadt, draußen beim Hügelkamm.
    Teufelshand wurde die senkrecht aufragende Felsgruppe genannt, weil sie aussah wie riesige, sich aus der Erde emporstreckende Finger. Ein verfluchter Ort , behaupteten die Leute. Ein Ort, an dem Monster ihr Unwesen trieben. Der Boden in der näheren Umgebung war unfruchtbar – nichts als Lehm und Steine, doch die Harrisons rangen der Erde mühsam ihr Brot ab und tauschten die kümmerlichen Erträge, die das Land ihnen brachte – Kartoffeln, Rüben –, in der Stadt gegen Mehl und Zucker ein. Alle Harrisons waren dünn, fast mager, mit dunklen Augen und dunklem Haar, doch Sara fiel aus der Reihe – ihr Haar war, wenn die Sonne darauf schien, beinahe kastanienbraun, und in ihren kupferfarbenen Augen tanzte mehr Licht als Schatten. Für Martin war sie eine beinahe überirdische Erscheinung, wie eine Feenprinzessin.
    Saras Mutter war bei der Geburt gestorben, und der alte Joseph Harrison hatte sich fortan ganz allein um Sara und ihre älteren Geschwister gekümmert. Allerdings erzählten sich die Leute, dass es früher eine Frau gegeben habe, die ihm in Haus und Hof behilflich gewesen sei. Sie habe Wäsche gewaschen, die Mahlzeiten gekocht und die Kinder gehütet. Die Leute sagten auch, sie habe mit Joseph Harrison das Bett geteilt und eine Zeitlang mit ihm zusammengelebt wie eine Ehefrau. Sie sei Indianerin gewesen, wortkarg und mit Kleidern aus Tierhaut – all das erzählten sich die Leute. Manche behaupteten sogar, die Frau sei selbst ein halbes Tier gewesen und habe die

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