Winter People - Wer die Toten weckt: Wer die Toten weckt (German Edition)
den Ofen.
»Lustig, oder?«, fragte Candace. »Wer nennt schon ein Schnabeltier Spike?«
»Wo ist er jetzt?«, wollte Fawn wissen. »Luke?«
Candaces Lächeln verblasste. »Bei seinem Vater. Wir sind geschieden, weißt du, und Lukes Vater ist einer von den Männern, die immer ihren Willen kriegen. Luke lebt jetzt bei ihm.« Candace fuhr sich mit der Hand durchs Haar. »Aber mit ein bisschen Glück wird sich das bald ändern. Er hat nicht zum letzten Mal von mir gehört. Es geht doch nicht an, einem Jungen seine Mutter vorzuenthalten, stimmt’s?«
Fawn nickte mitfühlend. »Das hier ist Mimi.« Sie hielt die Puppe hoch, damit Candace sie betrachten konnte. »Und ich heiße Fawn. Ich bin sechseinhalb.«
»Sechseinhalb ist aber schon ganz schön alt. Man sieht dir an, dass du ein großes Mädchen bist. Und sehr schlau. Also, mal sehen, ob du mir eine Frage beantworten kannst: Was glaubst du, wo ist eure Mutter hingegangen?«
Fawn dachte einen Moment nach. »Weg. Weit weg.«
»Fawn«, fuhr Ruthie dazwischen. »Warum gehst du nicht rauf in dein Zimmer?«
»Du Arme«, sagte Candace zu Fawn. Ruthie behandelte sie wie Luft. »Es muss hart für dich sein, dass deine Mutter einfach so verschwunden ist. Und du hast wirklich keine Ahnung, wo sie sein könnte?«
Fawn schüttelte den Kopf und blickte auf ihre Puppe.
»Ich weiß, dass ihr Toms und Bridgets Portemonnaies hier im Haus gefunden habt. Sag mir, Fawn, habt ihr bei der Gelegenheit auch noch etwas anderes gefunden?«
Fawns Blick glitt zu Ruthie. Sollen wir es ihr verraten? , fragte sie stumm.
Ruthie schüttelte unmerklich den Kopf und hoffte, dass Fawn es verstehen würde. Sie wusste nicht, was die Portemonnaies und der Revolver zu bedeuten hatten, aber sie wusste, dass Buzz recht hatte – die Sachen ließen ihre Mutter in keinem guten Licht erscheinen. Vielleicht war sie tatsächlich in etwas Dubioses, Kriminelles verwickelt, und davon sollte Candace O’Rourke auf keinen Fall erfahren.
»Da war nichts weiter«, erklärte Ruthie und machte einen Schritt nach vorn.
Doch Candace ignorierte sie und richtete ihre Aufmerksamkeit weiterhin auf Fawn.
»Manchmal sagen große Geschwister oder Erwachsene nicht die Wahrheit. Das heißt nicht, dass sie böse sind – sie machen eben das, was sie für richtig halten. Aber du, Fawn, du sagst immer die Wahrheit, das sehe ich dir an. War da sonst noch etwas bei den Portemonnaies? Unterlagen? Irgendetwas anderes?«
»Ich hab’s Ihnen doch gesagt, da war nichts!« Ruthie reichte es allmählich. »Tut mir leid, aber Sie gehen jetzt besser.«
»Und mir tut es leid, dass ich dir nicht glauben kann, Ruthie«, sagte Candace. Sie hob den Kopf und sah Ruthie mit kalten Augen an.
»Muss ich erst die Polizei rufen?«, fragte Ruthie.
Candace schüttelte enttäuscht den Kopf. Ohne den Blick von Ruthie abzuwenden, öffnete sie ihre Jacke. Darunter kam ein Brusthalfter mit einer Pistole zum Vorschein. Langsam, fast unbeholfen, zog sie sie heraus. Die Pistole war kleiner und eckiger als die, die sie oben gefunden hatten. Der Lauf war silbern, der Griff schwarz. Candace war im Umgang mit Schusswaffen ganz offensichtlich ungeübt, sie wirkte wie eine Schauspielerin, die noch keine Zeit gehabt hatte, sich mit einer neuen Requisite vertraut zu machen.
»Ich hatte gehofft, dass es nicht dazu kommen würde«, sagte Candace mit einem Seufzer.
Verdammter Mist!
Wieder musste Ruthie an die Warnungen ihrer Mutter denken. Öffnet niemals die Tür. Sie dachte an Rotkäppchen, das vom bösen Wolf in den Kleidern der Großmutter überlistet worden war.
Fawns Augen wurden riesengroß. »Sind Sie von der Polizei?«, fragte sie.
Candace lachte. »Wohl kaum. Hört zu, ich hasse Waffen. Das ist mein voller Ernst. Und noch mehr würde ich es hassen, sie benutzen zu müssen«, warnte sie und sah dabei zuerst Ruthie, dann Fawn an. »Deshalb wird jetzt Folgendes passieren: Ihr zwei werdet mir alles sagen, was ihr über eure Eltern und über Tom und Bridget O’Rourke wisst. Ihr werdet mir zeigen, wo genau die Portemonnaies gelegen haben und was ihr sonst noch gefunden habt.«
Ruthie musterte Candace und die Waffe und versuchte, ihre aufsteigende Panik zu unterdrücken. Sie glaubte nicht ernsthaft, dass Candace auf sie schießen würde, zumindest nicht mit Absicht. Aber die Frau war definitiv nicht ganz richtig im Kopf – wer wusste, wozu sie fähig wäre?
»Wenn Sie Waffen hassen, warum haben Sie dann eine?«, wollte Fawn wissen.
»Weil ich nicht
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